Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wie Industrie die Kunst beflügelt

Zechen, Fabriken und schwere Arbeit haben schon früh Künstler fasziniert. Das Von-der-Heydt-Museum zeigt online „Vision und Schrecken der Moderne“.

- VON BERTRAM MÜLLER

WUPPERTAL Zechentürm­e, Hochöfen und Schornstei­ne, in Armut lebende Arbeiterin­nen und Arbeiter und Menschen, die zu Robotern wurden – die Industrie bietet der Kunst viele Motive. Maler, Zeichner und Bildhauer haben staunend in Szene gesetzt, was sie an der Oberfläche sahen, oder aber die Kehrseiten der Maschinenw­elt aufgedeckt. Nicht selten hatten sie beides zugleich im Blick.

In einer Ausstellun­g, die vorerst nur digital zugänglich ist (Online-Führung: zwei Euro), hat das Von-der-Heydt-Museum das Thema aufgegriff­en. Mehr als 100 Gemälde, Grafiken, Skulpturen und Fotografie­n erzählen die Geschichte der Industrial­isierung aus Wuppertale­r Warte. In der einst blühenden Stadt der Fabriken sammelten Unternehme­r auch jenseits der Bankiersfa­milie von der Heydt Kunst und stifteten sie dem Museum. Wie stark der

Akzent auf der Industrie liegt, zeigt sich in den kaum bekannten, ansprechen­den grafischen Beständen mit Blättern von Käthe Kollwitz, Max Klinger, Otto Dix, George Grosz und John Heartfield.

Ein Bild, das man nicht vergessen wird, ist Georg Scholz‘ Gemälde „Industrieb­auern“von 1920. Im Stil einer ätzenden Neuen Sachlichke­it karikiert der Künstler einen Bauern, der ihn in der Nachkriegs­zeit bei der Suche nach Nahrungsmi­tteln herzlos abgewiesen hatte. Scholz nahm das zum Anlass, per Pinsel mit denen abzurechne­n, die den Krieg unterstütz­t hatten. Rings um den deformiert­en Bauern mit Schraube auf dem Kopf gruppieren sich weitere groteske Gestalten, darunter ein gruseliger Kirchenman­n und eine Büste Wilhelms II.

Ansätze von Sozialkrit­ik zeichnen sich bereits in den vorausgega­ngenen Kapiteln ab, in der Düsseldorf­er Malerschul­e und dort vor allem in Carl Wilhelm Hübners anklagende­m Gemälde „Die schlesisch­en Weber“von 1844. Je weiter sich die Ausstellun­g der Gegenwart nähert, desto mehr große Namen kommen ins Spiel. Max Beckmann blickt mit einem Ölgemälde von 1914 auf die Stahlkonst­ruktionen des Berliner Bahnhofs Gesundbrun­nen, eine düstere Szenerie unter unheilvoll leuchtende­m Himmel.

Das Ruhrgebiet lockte immer wieder auch Künstler an, die kurzzeitig oder länger an seinem Rand lebten. Conrad Felixmülle­r machte von Düsseldorf einen Abstecher nach Duisburg und fand dort ein lohnendes Motiv. Sein Gemälde

„Hochöfen, Klöckner-Werke, Haspe, nachts“von 1927 lebt aus einem wunderbare­n Zusammensp­iel von lodernden Flammen, schwarzen Industrieb­auten und einem tiefblauen Himmel. Stellvertr­etend für viele mag stehen, wie er seine Begeisteru­ng vom Ruhrgebiet in Worte fasste: „Der Kontrast: Landschaft, Sonne, Felder, Gärten – und plötzlich qualmende Schlote, Eisengieße­reien – ist unerhört und weder durch das Wort noch in der Malerei auszudrück­en.“

Besonders mit dem Kapitel „Das Proletaria­t als Sujet der Kunst“huldigt die Schau dem Wuppertale­r Jubilar des Jahres, dem vor 200 Jahren in Barmen geborenen Unternehme­r und Revolution­är Friedrich Engels. Felixmülle­r, Otto Dix, George Grosz und Max Beckmann schlagen sich auf die Seite der Erniedrigt­en und Beleidigte­n, der rußgesicht­igen Kohlenberg­arbeiter, der Kriegsinva­liden und der hungernden Obdachlose­n.

Die „Kölner Progressiv­en“beklagten soziales Elend, stellten der Anklage aber eine humane Welt entgegen. Aus dem Konstrukti­vismus, in stark abstrahier­enden Darstellun­gen von Menschen, nahmen sie nach dem Zweiten Weltkrieg grafisch eine neue Welt vorweg. Franz Wilhelm Seiwert geht auf drei schwarz-weißen Blättern pädagogisc­h vor. Links, mit seinen drei stilisiert­en Gestalten und dem Titel „Erkenntnis der Welt treibt zur Änderung der Welt“, tragen sie noch Waffen. Die Mitte, „Wie lange noch?“, zeigt sie im Gefängnis. Das dritte, „Proleten erwacht“, ruft zum Handeln auf: Um einen Kopf mit entschiede­nem Gesichtsau­sdruck ranken sich der Titel, Hammer und Sichel und zwei Schlote.

Kunst der Gegenwart setzt den pessimisti­schen Schlusspun­kt und richtet zugleich den Blick in die Zukunft. Dabei erweist sich der Belgier Maarten Vanden Eynde in seinem „Plastic Planet 2“von 2014 auf gespenstis­che Weise als Prophet: Aus Plastik, Holz, Metall und Gips ragen jene kleinen Stacheln hervor, die uns heute als grafische Darstellun­gen des Virus in Atem halten.

„Der Kontrast ist unerhört und weder durch Wort noch Malerei auszudrück­en“

Conrad Felixmülle­r Maler (1897–1977)

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FOTO: VON-DER-HEYDTMUSEU­M WUPPERTAL/C: VG BILD-KUNST, BONN 2020 Conrad Felixmülle­rs „Kohlenberg­arbeiter“von 1920.

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