Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Frankreich streitet ums Schulessen
In Lyon wird nur noch fleischloses Essen serviert. Politiker sind empört – es geht um Lokalpatriotismus und Ideologie.
LYON In Frankreich ist ein erbitterter Streit um das Schulessen ausgebrochen. Die fundamentale Frage ist, ob eine vegetarische Mahlzeit ein ausgewogenes Essen sein kann. Auslöser ist die Entscheidung, dass in Lyon für die Schüler in den Mensen nur noch ein fleischloses Gericht aufgetischt wird. Als Argument ins Feld geführt wird von den Kritikern unter anderem die Gesundheit der Kinder. In Wahrheit scheint die Auseinandersetzung ums Essen aber eine politisch hochbrisante Angelegenheit zu sein. Eskaliert ist der Streit schließlich, als sich die hohe Politik in Paris ziemlich brachial eingeschaltet hat.
Innenminister Gérald Darmanin hat sich über den Kurznachrichtendienst Twitter zu Wort gemeldet. Dabei geht es ihm allerdings nicht nur um das Wohl der Kinder. Er bezeichnete es als „inakzeptable Beleidigung“für die französischen Landwirte und Metzger, dass in der Stadt im Südosten Frankreichs nur noch fleischloses Schulessen ausgegeben wird. Und das ausgerechnet in der Stadt Lyon, die für ihre exquisiten Fleischgerichte im ganzen Land berühmt ist.
Rückendeckung erhält Darmanin von Landwirtschaftsminister Julien Denormandie, der hinter dem vegetarischen Schulessen einen grünen Verbotswahn vermutet. Er schreibt auf Twitter: „Lasst uns aufhören, unseren Kindern Ideologie auf den Teller zu legen!“Man solle ihnen geben, so sein Credo, was sie zum Wachsen bräuchten. Dazu gehöre auch Fleisch. Und natürlich gehen in Frankreich auch die Gewerkschaften und Interessenvertretungen auf die Barrikaden. „Genug ist genug!“ist ein empörtes Kommuniqué überschrieben, das die Bauerngewerkschaft des Départements Rhône und die Jungen Landwirte verfasst haben. Beide Organisationen wollten am Montag vor das Rathaus in Lyon ziehen und gegen die Maßnahme öffentlich protestieren.
Die Verantwortlichen in Lyon verstehen die ganze Aufregung allerdings nicht wirklich. Der grüne Bürgermeister Gregory Doucet erklärt, dass wegen der Corona-Pandemie mit dem Ende der Winterferien ein neues Hygienekonzept aufgestellt werden musste. Ziel sei es, in den Kantinen einen schnellen Ablauf bei der Ausgabe zu garantieren, weshalb nur ein Menü angeboten
werde, das von allen Kindern gegessen werden könne.
Zudem korrigierte er den Eindruck, dass das Essen rein vegan sei, es enthalte zum Beispiel auch Fisch und Eier. Auch der Hinweis, dass die Maßnahme nur vorübergehend sei und nach der Corona-Pandemie in den Schulmensen wieder auf Normalbetrieb
umgestellt werde, konnte die aufgebrachten Gemüter nicht beruhigen.
Der grüne Bürgermeister der Stadt Gregory Doucet, konnte sich zudem den süffisanten Hinweis nicht verkneifen, dass es in Lyon dieselbe Maßnahme mit denselben Begründungen bereits im vergangenen Jahr von Mai bis Juni während der ersten Corona-Welle gegeben habe. Entscheidender Unterschied: Damals regierte in der Stadt Gérard Collomb, der zur Regierungspartei La République en Marche gehört. „Damals haben wir nichts von Ihnen gehört“, ätzt der Grüne Doucet in Richtung der Minister im fernen Paris. Deren Argumentation nennt er „lachhaft“.
Der Bürgermeister ist trotz all des Widerstands, der ihm entgegenschlägt, entschlossen, das fleischlose Menü in den Schulkantinen auch in Zukunft anzubieten. Er wolle sich nicht weiter an dem politischen Geplänkel beteiligen, „Tausende Schüler warten darauf, dass sie versorgt werden“, erklärt Gregory Doucet.
Das sei im Moment der Pandemie noch wichtiger geworden, da immer mehr Familien jeden Cent zweimal umdrehen müssten und darauf angewiesen seien, dass ihre Kinder zumindest in der Schule ein anständiges und vollwertiges Essen bekommen könnten.
Doch die konservativen Politiker in Paris lassen es auf die Kraftprobe mit dem grünen Bürgermeister in Lyon ankommen. Nach dem Willen von Landwirtschaftsminister Denormandie soll nun der Präfekt des Départements Rhône erwirken, dass die Entscheidung der Stadtverwaltung zurückgenommen wird.
Und auch Innenminister Darmanin ließ es sich nicht nehmen, noch einmal verbal nachzulegen. Er erklärte, die „moralisierende und elitistische Politik der Grünen“schließe breitere Schichten der Bevölkerung aus. „Viele Kinder bekommen nur in der Schulkantine Fleisch“, fügte der Minister hinzu, der sich einen Namen als beinharter Konservativer gemacht hat.
„Viele Kinder bekommen nur in der Schulkantine Fleisch“
Gérald Darmanin Französischer Innenminister