Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Firmen stehen fortan für Lieferketten gerade
Umweltverbänden geht das Lieferketten-Gesetz nicht weit genug, die Wirtschaft klagt über Bürokratie und überzogene Strafen.
BERLIN Erst das schwere Unglück in einer Textilfabrik in Bangladesch rüttelte Wirtschaft und Politik wach. 2013 starben wegen Baumängeln und fehlendem Arbeitsschutz über 1100 Menschen beim Einsturz des Gebäudes. Nun will die Bundesregierung mit ihrem am Mittwoch nach langem Streit verabschiedeten Lieferketten-Gesetz die Unternehmen dazu bringen, auf die Einhaltung von Menschenrechten bei ihren Lieferanten zu achten. „Dieses Gesetz ist ein klares Signal an jene Firmen, die bisher Menschenrechte gegen ihre wirtschaftlichen Interessen abgewogen haben. Damit ist nun Schluss“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist davon überzeugt, dass das Gesetz den Menschen in den Produktionsländern hilft, ohne deutsche Firmen zu überfordern. „Das Gesetz ist ein guter Kompromiss mit Augenmaß. Es gibt Übergangsfristen, Mittelständler sind nicht umfasst“, sagte er unserer Redaktion. Kein Kind solle auf den Kakao- oder Baumwollplantagen für den hiesigen Wohlstand schuften müssen.
Was müssen die Unternehmen tun? Die Verantwortung der Unternehmen erstreckt sich auf die gesamte Lieferkette. Allerdings ist der Grad der Verantwortung nach dem Grad der Einflussmöglichkeit abgestuft. Das heißt: Ein Unternehmen muss im eigenen Haus und bei seinen unmittelbaren Zulieferern dafür sorgen, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Menschenrechtsrisiken bei den Zulieferern der Zulieferer „müssen analysiert und adressiert werden, wenn Unternehmen darüber substantiiert Kenntnis erlangen“, heißt es schwammig beim Bundesarbeitsministerium.
Was ist das Ziel? Durch das Gesetz sollen die Rechte der Arbeitnehmer im Ausland gestärkt werden, Kinderund Zwangsarbeit sind verboten, Arbeitsschutz ist Pflicht, „faire Löhne“müssen gezahlt werden. Das soll auch für fairen Wettbewerb sorgen. Unternehmen, die schon jetzt auf die Einhaltung der Menschenrechte schauen und deshalb höhere Kosten haben, sollen dadurch nicht länger einen Nachteil haben. Der Deutschen Umwelthilfe und dem WWF geht das nicht weit genug: Sie kritisieren, dass sich das Gesetz nicht auch auf den Schutz von Umwelt und Klima bezieht. Das Gesetz entlasse Unternehmen aus der Verantwortung, weil es sich bei der Rohstoffgewinnung auf die direkten Zulieferer beschränke.
Für wen gilt das Gesetz? Ab 2023 ist das Sorgfaltspflichten-Gesetz, wie es offiziell heißt, verbindlich für große Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten in Deutschland. Ab 2024 gilt es dann für alle Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten in Deutschland.
Wofür haften die Unternehmen? Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften mit Sitz in Deutschland können bei Menschenrechtsverletzungen im Ausland vor deutschen Gerichten klagen, wenn die Opfer zustimmen. Die Unternehmen werden durch das Gesetz aber nicht verpflichtet, Opfer von Umweltverschmutzung oder Ausbeutung zu entschädigen. Das kritisieren Hilfsorganisationen und Kirchen. Sie hatten gehofft, dass geschädigte Textilarbeiter in Bangladesch oder vertriebene Bauern in
Ghana vor deutschen Gerichten klagen können.
Was sagt die Wirtschaft? Der Verband der Chemischen Industrie kritisierte den nationalen Alleingang und unklare Formulierungen wie „angemessenes Unternehmenshandeln“. Das bedeute Rechtsunsicherheit. Firmen, die sichergehen wollten, nicht von den Sanktionen betroffen zu sein, bleibe nur der Rückzug aus Entwicklungsländern, warnten die Arbeitgeberverbände. Die Autoindustrie monierte, dass den Firmen nicht nur für vorsätzliche, sondern auch für fahrlässige Vergehen drastische Strafen drohen.
Welche Strafen drohen?
Das Bundesamt
für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) soll die Unternehmen einerseits mit Informationen versorgen, andererseits auch die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren. Die Behörde kann bei Verstößen Buß- und Zwangsgelder verhängen. Der Bußgeldrahmen reicht bei schweren Verstößen bis zu zwei Prozent des weltweiten Konzernumsatzes. Je nach Art des Verstoßes kann das Unternehmen ab einer Geldbuße von 175.000 Euro von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Der Maschinenbauverband ( VDMA) hält die Sanktionen für „völlig überzogen“. Die Bußgelder könnten im Einzelfall für Unternehmen „den Ruin bedeuten“, erklärte der VDMA.