Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Nachts kommen die Raser
Illegale Autorennen finden im Dunkeln statt – vor allem im Ruhrgebiet und im Rheinland. Die Raser sind männlich und unter 30 Jahre alt. Die Polizei hat ein Lagebild über die Szene erstellt.
DÜSSELDORF Der graue, tiefergelegte Audi mit den schwarz folierten Fensterscheiben, Modell A5-Sportback älteren Baujahrs, hängt am Haken des Abschleppwagens. Die Polizei hat ihn bei einer Schwerpunktkontrolle am Hamborner Altmarkt aus dem Verkehr gezogen, weil der Abstand zwischen Reifen und Radkasten so gering gewesen ist, dass das tiefergelegte Fahrzeug nach ersten Einschätzungen der Polizisten verkehrsunsicher ist. Ein Gutachter wird den Wagen nun unter die Lupe nehmen.
Sichergestellt worden ist der getunte Audi vergangenen Samstagabend bei einer Schwerpunktkontrolle gegen die Raser- und Poserszene. 56 Mal erwischten die Ordnungshüter dabei Autofahrer, weil sie zu schnell unterwegs waren.
Landesweit geht die Polizei aktuell massiv gegen diese Szene vor. Nach Angaben des NRW-Innenministeriums fanden allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres 22 Schwerpunkteinsätze statt; im vergangenen Jahr waren es 164. Dabei wurden im Jahr 2020 insgesamt 146 Kraftfahrzeuge sichergestellt; in diesem Jahr bisher 50. Tausende Personen wurden dabei kontrolliert. So wurden zum Beispiel allein bei einem Schwerpunkteinsatz in Dortmund am 27. Februar dieses Jahres mindesten 362 Beteiligte von der Polizei angehalten.
„Diese Raser gefährden und töten nicht nur sich selbst, sondern auch unbeteiligte Dritte. Deshalb greifen wir hart durch“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Im vergangenen Jahr gab es laut Polizei 1515 verbotene Rennen; 265 Unfälle wurden verursacht. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben, darunter ein Kind. Meist sind es junge Männer im Alter bis 30 Jahren, die solche illegalen Rennen fahren. Nach Angaben des Innenministeriums können die Fahrer häufig ihre Fahrfähigkeiten nicht richtig abschätzen und ihr Auto nicht beherrschen.
Bei den Rennen werden laut Polizei neben massiven Geschwindigkeitsübertretungen auch rote Ampel überfahren, Vorfahrtstraßen missachtet, brandgefährliche Überholmanöver durchgeführt und Sicherheitsabstände nicht eingehalten.
Bei sogenannten Szenetreffen stellen die Raser und Poser ihre Boliden zur Schau. Dabei fahren sie auch Rennen gegeneinander und gegen die Uhr. Die Polizei hat festgestellt, dass sich diese Szenetreffen während der Pandemie auch zu einer „Kennenlern-Börse“entwickelt haben, weil die Bars und Diskotheken geschlossen sind. Dabei kommt es durch das Imponiergehabe auch zu erheblichen Lärmbelästigungen. Typisches Poserverhalten sind: „Pedal-Tuning“, „Schubknallen“(Unterbrechung der Kraftstoffzufuhr bei einem Benzin- oder Dieselmotor) und „Donuts“(Reifen durchdrehen). Zudem werden die Treffpunkte häufig vermüllt hinterlassen.
Als Hochburgen der Szene gelten in Nordrhein-Westfalen das Ruhrgebiet (Dortmund, Duisburg und Essen) und das Rheinland (Düsseldorf und Köln). Zu den Hotspots in der
Landeshauptstadt, also den Treffpunkten der Tuner, gehören neben der Kö auch das Mannesmannufer und die Heinrich-Heine-Allee. Aber auch in kleineren Kommunen in NRW stellt die Polizei immer wieder Raser. „Die Szenen zeigen sich hierbei in unterschiedlicher Ausprägung und sehr mobil. Auf polizeiliche Kontrolltätigkeit wird häufig mit Ortswechseln reagiert“, so ein Sprecher des NRW-Innenministeriums.
Die Polizei versucht auch immer, Smartphones von Beteiligten sicherzustellen und eine richterliche Genehmigung zur Auswertung der Daten zu bekommen. Denn die Anhänger der Szene filmen die Rennen mit ihren Handys und verabreden sich über Messengerdienste für neue Rennen. Für die Polizei sind die Handys deshalb extrem wertvoll.
Erich Rettinghaus, der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, beschäftigt sich schon seit Langem intensiv mit der Raserszene. „Die Fahrer müssen mit harten Strafen belegt werden. Dazu gehört auf jeden Fall ein Führerscheinentzug für einen sehr langen Zeitraum“, betont Rettinghaus. „Denn diese Leute sind charakterlich nicht dazu geeignet, ein Auto zu fahren.“
Tunen ist bis auf wenige Ausnahmen eine Männerdomäne. Und dabei unterscheidet die Polizei in Low-Budget-Tuner, die also nicht so viel Geld zur Verfügung haben (meist jüngere Männer), und reiche Tuner, deren Grenze aber zu Posern fließend verläuft. In der Szene der Auto-Enthusiasten fühlen sich aber viele ungerecht behandelt, weil ihrer Meinung nach nicht differenziert wird zwischen denen, die an Fahrzeugen begeistert herumschrauben, und denjenigen, die rasen.
Falko Haarhaus, Leiter eines Schwerpunkteinsatzes in Dortmund, sagt: „Auch in Zukunft werden wir diese Szene konsequent ausbremsen, bis der letzte Autofahrer oder die letzte Autofahrerin den Spaß am Lärm und Rasen verloren hat.“