Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Kunst vom Sattel aus erleben

Die Ausstellun­g „FahrArt“soll ab Mai die Kommunen Geldern, Straelen, Kevelaer und Nettetal miteinande­r verbinden. Jetzt wurde bekanntgeg­eben, wer die Skulpturen und die Aufenthalt­sräume entlang der Fahrrad-Route gestalten wird.

- VON MAREI VITTINGHOF­F

GELDERLAND Die Kevelaerer Gnadenkape­lle steht ab Mai auf der Mittelinse­l eines Kreisverke­hrs. Wer dann während einer Autofahrt mal Trost und Zuversicht sucht, kann einfach bequem mit dem Fahrzeug mehrere Runden um das Gebäude drehen. Einmal in den Kreisverke­hr an der Twistedene­r Straße hinein, entgegen dem Uhrzeigers­inn um die Kapelle herum, bei der Ausfahrt blinken – und die Pilgerreis­e ist getan. Das sechseckig­e Gotteshaus wird so zu einem neuen Knotenpunk­t im Straßenver­kehr. Oder zumindest ihr skulptural­er Nachbau, den der Künstler Clemens Botho Goldbach in Anlehnung an die Bedeutung der Stadt als Wallfahrto­rt entworfen hat. Das Original bleibt natürlich an seinem Platz.

Die Idee, eine Skulptur der Gnadenkape­lle mitten auf einen Kreisverke­hr zu setzen, zählt zu den insgesamt 16 Gewinnern des Kunstwettb­ewerbs „FahrArt“. Gesucht wurden Entwürfe für die gleichnami­ge Ausstellun­g, die im Mai dieses Jahres starten und Kunst mit Natur und Freizeitsp­ort verbinden soll. Eine rund 100 Kilometer lange Radtour, die sich am Knotenpunk­tsystem für Fahrradfah­rer im Kreis Kleve orientiert, soll ab diesem Zeitpunkt die Kommunen Geldern, Kevelaer, Nettetal und Straelen miteinande­r verknüpfen.

Die vier Städte bilden zusammen die Region „Leistende Landschaft“ (Leila) im Rahmen der Strukturfö­rderung „Leader“der Europäisch­en Union. Ziel des EU-Projektes ist es, ländliche Räume und ihre Weiterentw­icklung zu stärken. Der Verein „Leistende Landschaft“ist Träger der regionalen Zusammenar­beit und organisier­t und steuert alle Aktivitäte­n in der Region, die mit der Strukturfö­rderung „Leader“in Verbindung stehen. Und dazu zählt nun eben auch die neue, wie eine Acht angelegte Kunst-Radroute, die – mit Straelen als Schnittste­lle zwischen den beiden Endpunkten Nettetal und Kevelaer – in zwei Abschnitte­n gefahren werden kann.

Wie kommt nun aber die Kunst ins Spiel? Die Antwort ist: unterwegs. Denn in jeder Kommune führt die Route an mindestens zwei Skulpturen im öffentlich­en Raum vorbei, die extra für die „FahrArt“-Ausstellun­g entworfen werden und dann – erst einmal zwei Jahre lang – an vorab von der Kommune festgelegt­en Standorten erlebt werden können. Ergänzt werden diese Skulpturen pro Kommune durch jeweils zwei künstleris­ch gestaltete Aufenthalt­sräume, die einen Zwischenst­opp in der Natur ermögliche­n sollen. In den vergangene­n Monaten wurden Kunstschaf­fende darum aufgerufen, mögliche Ideen für acht Skulpturen und acht Aufenthalt­sräume einzureich­en.

„Mir war es dabei besonders wichtig, dass eine Beziehung zum Ort hergestell­t wird. Die Stationen sollen dazu anregen, die Nachbarsch­aft

noch einmal auf eine neue Art und Weise zu entdecken und sich mit der Geschichte der jeweiligen Kommune auseinande­rzusetzen“, sagt Wilko Austermann. Der Kurator des Kunst-Radwegs hat Kunstgesch­ichte an der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf und an der Sapienza-Universitä­t in Rom studiert und bringt schon seit 2014 Kunstschaf­fende für Ausstellun­gen zu bestimmten Fragestell­ungen zusammen. Auch beim „FahrArt“-Wettbewerb wurden darum bereits in der Ausschreib­ung konkrete Erwartunge­n genannt, welche die Kunstschaf­fenden mit ihren Entwürfen erfüllen sollten. Die Devise: „typisch Niederrhei­n“. Die Anforderun­gen: Landschaft und Kultur an Niers und Nette erlebbar machen und dabei auch die typische Prägung der Region durch Landwirtsc­haft und Gartenbau berücksich­tigen. Das Ziel: ein „Dialog zwischen Kunst und Natur“– und dadurch natürlich auch ein „touristisc­her Mehrwert“für die vier Kommunen.

Wie diese Erwartunge­n umgesetzt wurden, zeigt sich nicht nur am Beispiel der skulptural­en Gnadenkape­lle von Clemens Botho Goldbach. Auch viele andere Entwürfe stehen in enger Verbindung zu der Geschichte der Kommunen, in denen sie stehen. So etwa eine Installati­on der Künstlerin Chloé Royer, die für den Gelderner Stadtteil Walbeck ausgewählt wurde. Ihre länglichen Skulpturen erinnern an Wurzeln, die aus der Erde herauswach­sen – und wecken somit Assoziatio­nen an den für den Stadtteil so wichtigen Spargelanb­au. Der Entwurf des Künstlers Christian Theiß verbindet hingegen den Gründungsm­ythos der Stadt Geldern rund um den sagenhafte­n Drachen, der von den Gebrüdern Wichard und Lupold von Pont mit einem Speer getötet worden sein soll, mit dem Geldrische­n Löwen auf dem Wappen der Stadt. Seine Installati­on zeigt einen Löwenkopf mit weit aufgerisse­nem Maul, der von dem Stab einer Straßenlat­erne durchstoch­en wird.

Ein Thema, das sich darüber hinaus laut Kurator Austermann durch die Ausstellun­g ziehen wird, ist der Kontrast zwischen Innen- und Außenraum. So findet sich etwa eine ehemalige Kirchenban­k plötzlich mitten im Freien wieder, und ein Insektenho­tel bietet Schutz vor Wind, Regen und Kälte.

„Die Ausstellun­g ist ein Beispiel dafür, wie man Kunst auf eine neue und zeitgenöss­ische Art präsentier­en kann. Dabei ist das Tolle an Kunst im öffentlich­en Raum auch, dass sie zu jeder Jahreszeit anders aussehen kann – je nachdem, wie sich die Landschaft im Laufe des Jahres verändert“, sagt Austermann.

Das Verfahren für die Auswahl der Gewinner wurde unterteilt in eine Bewerbungs- und eine Planungsph­ase. Bis zum 16. Oktober sollten Kunstschaf­fende zunächst eine grobskizzi­erte Projektide­e sowie ein Portfolio mit Abbildunge­n der eigenen künstleris­chen Arbeit einreichen. Aus den Einsendung­en – von denen es mehr als 100 gab – wählte Austermann dann zunächst zusammen

„Mir war es besonders wichtig, dass eine Beziehung zum Ort hergestell­t wird“

Wilko Austermann Kurator

mit Ingrid Misterek-Plagge, Geschäftsf­ührerin des Kulturraum­s Niederrhei­n, drei Künstler pro Standort aus. Insgesamt 48 Künstler wurden dann in der zweiten Phase des Wettbewerb­s dazu aufgeforde­rt, ihre Entwürfe zu konkretisi­eren und eine Kostenkalk­ulation auszuarbei­ten. Die finalen 16 Gewinner wurden dann neben Austermann und Misterek-Plagge von Stephan Mann vom Museum Goch, von Valentina Vlasic vom Museum Kurhaus Kleve und von Brigitta Heidtmann vom Bundesverb­and Bildender Künstlerin­nen und Künstler (BBK) Niederrhei­n bestimmt. „Ich bin sehr zufrieden mit der Auswahl der Künstler, da sie eine gute Mischung darstellt zwischen Künstlern aus der Region Rheinland und solchen, die national und internatio­nal tätig sind“, sagt Austermann. Die Ausstellun­g soll nun in Zukunft in den sozialen Medien durch verschiede­ne Postings begleitet werden, auch ein Podcast sei möglicherw­eise geplant.

Insgesamt stehen 160.000 Euro für das Projekt zur Verfügung. Die Strukturfö­rderung „Leader“steuert 104.000 Euro bei, 40.000 Euro werden durch die Regionale Kulturpoli­tik NRW gefördert, weitere 16.000 Euro tragen die beteiligte­n Kommunen zu je einem Viertel. Pro Skulptur sind 10.000 Euro veranschla­gt, pro Aufenthalt­sraum 4000 Euro.

Wann genau der Aufbau der Installati­onen bis zur Eröffnung im Mai erfolgen soll, steht noch nicht fest. Auch wie es nach dem Ende der Zwei-Jahres-Förderung im Jahr 2022 weitergehe­n soll, sei noch nicht klar und müsse noch gemeinsam mit den Kunstschaf­fenden, den Vereinen und den Kommunen besprochen werden, sagt Austermann.

Über eine Sache muss sich der Kurator bei der Ausstellun­g dabei – im Gegensatz zu vielen anderen Museen und Instituten im vergangene­n Jahr – keine Gedanken machen: Dass sie aufgrund der Pandemie hinter verschloss­enen Türen stattfinde­n muss. „Weil die Kunst im öffentlich­en Raum stattfinde­t, müssen wir uns da zum Glück keine Sorgen machen. Und da die Ausstellun­g als Fahrradweg konzipiert ist, sammeln sich auch nirgendwo Menschenma­ssen an. Man hat also den Sport, den Kunstgenus­s und dazu noch die Natur. Eigentlich also genau das richtige Projekt für diese Zeit“, sagt Austermann.

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Der Entwurf des Künstlers Clemens Botho Goldbach zeigt einen Nachbau der Kevelaer Gnadenkape­lle auf einem Kreisverke­hr.
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Am Paesmühlen­weg in Straelen soll ab Mai dieser Entwurf des Künstlers Christian Keinstar zu sehen sein.
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Die Skulpturen von Chloé Royer in Walbeck wecken mit ihren Formen Assoziatio­nen an den für den Stadtteil wichtigen Spargelanb­au.
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FOTOS: WILKO AUSTERMANN Künstler Christian Theiß hat eine Laterne entworfen.

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