Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Die Rache der unsichtbaren Frau
Verzweifelt und zu allem bereit: Im „Polizeiruf“mit Bukow und König brilliert Luise Heyer.
ROSTOCK Man fasst es nicht: Da genügt der Sonntagskrimi ausnahmswBeise seinem eigenen Anspruch – beginnt aber aus unerfindlichen Gründen so hanebüchen, dass man schwer versucht ist abzuschalten. Charly-Hübner-Ultras und andere Freunde des mit einem langfristigen Plan erzählten Rostock-Krimis wussten ja immerhin grob, was kommt. Bei den Neuankömmlingen unter den Zuschauern aber müssten sich die Macher entschuldigen für den Einstieg, der den famosen Fall völlig zu überschatten droht: Sascha Bukow (Charly Hübner) teilt neuerdings erstens das Bett mit seiner Kollegin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und trauert zweitens auch um seinen Vater. Der war Verbrecher und wurde im vorherigen Fall erschossen, direkt vor den AuBgen von Bukows Bürogenossen. Entsprechend seltsam gerät die Trauerfeier, zu deren Krönung neben Kriminellen und Kripo-Leuten auch Bukows bislang unbekannte Halbschwester aufkreuzt.
Klingt nach viel zu viel, selbst für die letzte Seifenoper. Ist es auch. Hätte nicht passieren dürfen. Ist es aber. Und es lohnt, sich damit abzufinden, denn alle Hauptbeteiligten spielen es so gut wie irgend möglich. Und dann ist da ja noch der Fall.
„Sabine“heißt dieser Film, und seine Titelheldin zieht einen dermaßen in ihren Bann, dass man die abstrus aufgeladene Ausgangslage recht schnell verdrängt. Sabine Brenner (Luise Heyer) ist für ihre Umwelt unsichtbar. Man meidet sie, weil sie eine wandelnde Erinnerung ist an all das, was schief läuft, an die diversen Fehler in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Wer nicht durch sie hindurchblickt, weicht ihr physisch aus, als wäre sie ansteckend. Aufstockerin, arm trotz Arbeit, außerdem alleinerziehend. Ein Opfer der Wende und anderer sogenannter Umstände, ja, aber auch aktiv gegängelt und übervorteilt, be- und verurteilt von Bürokraten, Bankern, Beratern. Sie leidet unter alledem, aber sie leidet tagsüber in einer Großküche und nachts in einer kleinen Plattenbauwohnung, also weit weg vom Rest der Welt: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Jetzt ist sie kaputt. Nicht im Sinne von müde, obwohl sie auch todmüde ist. Vor allem aber ist sie zermürbt, verschlissen, verbeult, verbogen. Kaputt eben, nicht mehr funktionsfähig. Sie ist dem Untergang geweiht; aber leise zu gehen, ist keine Option.
„Meine Fallanalyse ist perfekt“, ätzt die frustrierte Katrin König früh. „Das Motiv ist eindeutig irgendwas zwischen Affekt, Eifersucht, Rache und Auftragsmord... in fünf Minuten tanz’ ich euch den Namen des Täters.“Mit dem, was in diesem Film passiert, rechnet man nicht. So jemand macht so etwas nicht. Tatsache ist: Sabine Brenner ist auch für Bukow und König lange unsichtbar. Bis sie eine ganze Großstadt dazu zwingt, sich mit ihr zu befassen.
Und Brenners preisgekrönte Darstellerin Luise Heyer konfrontiert acht, neun, vielleicht zehn Millionen Zuschauer mit den Millionen Sabine Brenners, die es tatsächlich gibt. Mitten unter uns. Die Armen.
„Polizeiruf 110: Sabine“: Das Erste, So.20.15Uhr.