Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Der letzte Drahtzieher
Einer der mächtigsten Mafia-Bosse Europas wurde in Lissabon festgenommen. Seine Spur führt zu den Duisburger Morden von 2007.
DUISBURG Sein Auftrag war der letzte Auslöser für die Mafia-Morde von Duisburg im Jahr 2007. Jetzt sitzt auch er im Gefängnis. Francesco Pelle, hochrangiges Mitglied des mächtigen Pelle-Romeo-Clans der kalabrischen Mafia ’Ndrangheta, ist in Lissabon festgenommen worden. Das teilte die Polizei am Montagabend mit. Pelle soll dort wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus gelegen haben.
Pelle war einer der entscheidenden Akteure in der Fehde der beiden Mafia-Familien Pelle-Romeo und Strangio-Nirta. Einem Konflikt, der 1991 mit einem scheinbar harmlosen Streich beginnt. Während des Karnevals bewerfen sich damals die Kinder beider Familien mit Eiern. Es kommt zu einer Schlägerei, kurz darauf werden zwei junge Männer des Strangio-Nirta-Clans getötet. Er endet 2007 damit, dass in der Duisburger Pizzeria „Da Bruno“sechs Menschen erschossen werden. 16 Jahre, in denen die Rollen immer wieder getauscht werden.
„Francesco Pelle war sowohl Täter als auch Opfer in dieser Auseinandersetzung“, sagt der Mafia-Experte Sandro Mattioli. Ein entscheidender Brandbeschleuniger ist ein Attentat, das 2005 auf Pelle verübt wird. Während er sich mit seinem Baby auf dem Balkon aufhält, wird der heute 44-Jährige von der Kugel eines Präzisionsgewehrs in den Rücken getroffen. Pelle ist fortan auf den Rollstuhl angewiesen. „Eine große Schmach in ’Ndrangheta-Strukturen, wo es extrem um Männlichkeit geht“, sagt Mattioli. Wer behindert sei, werde in der Mafia-Logik als „Krüppel“wahrgenommen.
Pelle ersinnt Rache. Mafia-Boss Giovanni Luca Nirta soll sterben, die Täter erwischen bei ihrem Anschlag Weihnachten 2006 jedoch nur dessen Frau, Maria Strangio, und töten sie. Vier weitere Menschen werden verletzt, darunter auch ein Kind. Die Mafia-Morde in Duisburg sind wiederum die Reaktion Nirtas.
Danach beruhigt sich die Situation zwischen den Familien. Wie erst kürzlich bekannt wurde, liegt das wohl vor allem an einem als Reaktion auf die Morde gegründeten internen Kontrollgremium, dem „Crimine di Germania“. Es sollte für einen besseren Interessenausgleich zwischen den Familien sorgen und somit ein „zweites Duisburg“verhindern. Bis heute mit Erfolg.
Pelle, der wohl wegen seiner dunklen Hautfarbe auch unter dem Spitznamen „Ciccio Pakistan“bekannt ist, verbringt einen Großteil dieser Nachfehdenzeit im Gefängnis. 2008 wird er inhaftiert und später zu lebenslanger Haft verurteilt. Wegen einer Haftüberprüfung muss er 2017 zeitweise in den Hausarrest entlassen werden. „Jemand wie er hat sehr gute Möglichkeiten unterzutauchen“, sagt Mattioli. Doch scheinbar passt die italienische Polizei in dieser Zeit nicht gut genug auf. Pelle setzt sich ab und taucht erst am Montag in Lissabon wieder auf.
„Es gibt Orte, an denen man das eher erwarten würde. Beispielsweise in Dubai oder der Dominikanischen Republik“, sagt Mattioli. „Aber letztlich tauchen die Leute überall ab, wo es Vertraute gibt.“Dass auch Lissabon nicht Mafia-frei sei, war bereits zuvor klar. Laut Mattioli hatte bereits die Erfurter ’Ndrangheta in der Vergangenheit Gelder in die portugiesische Hauptstadt verschoben.
Deutschland gilt außerhalb Italiens als wichtigster Stützpunkt der kalabrischen Mafia. Sie kontrolliert auch hierzulande einen Großteil des Kokain-Handels. Besonders Nordrhein-Westfalen ist nach Angaben des Landeskriminalamts wegen der Nähe zu den Niederlanden ein attraktives Territorium. Vier Mafia-Organisationen agieren in NRW: die Camorra, die Cosa Nostra, die ’Ndrangheta und die Apulische.
Schätzungen gehen davon aus, dass es in Deutschland allein bis zu 1000 Mitglieder der ’Ndrangheta, sogenannte ’Ndrinu, gibt. Um ihren Aktivitäten unauffällig nachzugehen, verzichtet die Mafia normalerweise auf Gewalttaten oder zur Schau gestellte Machtbeweise.
Stattdessen werden etwa Restaurants und Eiscafés benutzt, um still und leise Drogengeld zu waschen.
Zuletzt schlugen die Strafverfolgungsbehörden bei der Operation „Pollino“zu. Rund 90 mutmaßliche Mafia-Mitglieder wurden im Dezember 2018 in den Niederlanden, Belgien, Italien und Deutschland festgenommen. Auch die Spezialkräfte der GSG 9 waren im Einsatz. Derzeit läuft vor dem Landgericht Duisburg ein Mammutverfahren gegen 14 Männer, die ein riesiges Kokain-Netzwerk vom Niederrhein bis nach Südamerika betrieben haben sollen. Zwischen getarnten Verstecken soll das Koks quer durchs Land transportiert worden sein.
Mit der Festnahme Pelles schließt sich ein Kreis. Alle führenden Beteiligten an den Mafia-Morden von Duisburg sind somit inhaftiert. Die Aufarbeitung der Tat dürfte damit 14 Jahre danach endgültig abgeschlossen sein. Die Geschichte der ’Ndrangheta in Deutschland ist jedoch noch lange nicht beendet.