Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Eine magische Partynacht
Der britische Regisseur Steve McQueen („12 Years A Slave“) inszeniert in seinem Film „Lovers Rock“eine Geburtstagsfeier im Jahr 1980.
Cynthia wird 17, deshalb räumen sie und ihre Freunde das Wohnzimmer leer, stellen eine Couch in den Garten, mischen schon mal Drinks und bauen Plattenspieler und Boxen auf. Es ist das Jahr 1980, heute Abend ist Party an der Ladbroke Road in Notting Hill, Eintritt 50 Cent, und drüben im Stadtteil Ealing machen sich parallel dazu Martha und Patty fertig: das schickste Kleid und Sonntagsschuhe, Haare machen und vorm Spiegel bisschen tanzen. Aber bitte nur so viel, dass man nicht schwitzt: „Dress to impress.“
„Lovers Rock“heißt dieser Film, und er ist ein Juwel. Dass diese Produktion und ihr Regisseur Steve McQueen nicht für den Oscar nominiert sind, ist ein Fehler. Das ist ein origineller Film, großartig komponiert, toll fotografiert und wunderbar gespielt. „Lovers Rock“dokumentiert gleichsam in Echtzeit einen Moment, in dem sich schwarze Populärkultur verdichtet. Er tut dies mit sepia-seligen Bildern von allgemeiner Gültigkeit, indem er eine Coming-of-Age-Geschichte inszeniert, eine urbane Pastorale über einen jugendlichen Sommertag.
Der knapp 70-minütige Film zeigt fast ausschließlich die Party, zu der sich Martha und Patty ohne das Wissen ihrer Eltern schleichen. Dort wird Reggae gespielt, die DJs legen Vinyl-Singles auf, der Bass drückt, und Parker B, der Chef am Turntable, ruft Feten-Kommandos und Tanzbefehle ins Mikro. In Slow Motion sieht man die toll gekleideten und gestylten Gäste tanzen. Die Zeit scheint zu gerinnen: Hände in Großaufnahme, kreisende Hüften, Lippen, und irgendwann fangen sogar die Wände an zu schwitzen. Kameramann Shabier Kirchner hat eine Apparatur verwendet, mit der er die Kamera über dem Kopf durch die Menge balancieren kann. Er taucht regelrecht ein in das Fest, der Zuschauer ist dabei, es ist sinnlich und unmittelbar.
Steve McQueen wurde mit „Shame“berühmt und bekam für „12 Years A Slave“den Oscar. „Lovers
Rock“veröffentlicht er als zweiten Film in seiner Reihe „Small Axe“, die sich mit schwarzer Kultur in Großbritannien beschäftigt. Der Titel der Anthologie zitiert ein Lied von Bob Marley, in dem es heißt: „So if you are the big tree / We are the small axe / Ready to cut you down“. McQueens Eltern sind aus der Karibik nach England gekommen, und in diesen Filmen zeigt der 51-Jährige, wie jene Generation ihre Lebensart gegen alle Widerstände pflegte und versuchte, die Fremde zur Heimat zu machen. Eine Kulturgeschichte des Black Pride. „Lovers Rock“ist der einzige fiktionale Film in dieser Reihe, und er wurde inspiriert von McQueens Tante Molly, deren Eltern sie nicht zu Partys gehen lassen wollten. Ihr Bruder ließ ihr daher die Hintertür offen, damit sie samstags unbemerkt fortgehen und rechtzeitig zum Kirchgang wieder da sein konnte.
Im Grunde ist „Lovers Rock“ein Musical. Im Mittelpunkt steht das musikalische Genre, das dem Film seinen Namen gibt: Lovers Rock ist die britische Variante von Reggae, die die erste und zweite Generation von Einwanderern aus der Karibik populär gemacht hat. Sie mischt Soul mit Reggae und ist im Gegensatz zum jamaikanischen Roots-Reggae nicht männlich dominiert, sondern weicher und zugewandter. Sade und Culture Club haben sich davon inspirieren lassen. Süßer Gesang löst sich auf in einem Hallraum, der von schweren Bässen erschüttert wird. Carroll Thompson und Louisa Mark waren Stars in dieser Szene, die den Weg bereitete für
Entwicklungen wie Jungle, Dubstep und Crime, die ja ebenfalls im Reggae wurzeln. Der erste große Hit des Genres war „Silly Games“von Janet Kay; er schaffte es auf Platz zwei der Charts.
„Silly Games“wird im Film komplett gespielt, und als das Lied zu Ende ist, singen es die Gäste einfach vier Minuten A cappella weiter. Das ist ein magischer Moment, ein Höhepunkt der jüngsten Filmgeschichte, die Verdichtung von Jugendkultur, Gemeinschaftsstreben, Pop und Ausgelassenheit. Und er ist großes Kino. Dennis Bovell, der „Silly Games“damals produzierte, hat einen Gastauftritt, und überhaupt sind die Szenen auf der Tanzfläche unglaublich: Etwa, wenn alle Kampfbewegungen machen, weil jemand „Kung Fu Fighting“auflegt.
Steve McQueen hat das Wohnzimmer, in dem die Gäste feiern, bewusst nicht komplett gegen die Außenwelt abgeschottet. Draußen warten aggressive weiße Kids, die nur zurückgehalten werden können, weil einer von Cynthias Freunden den Türsteher macht. Im Garten kommt es zu einem sexuellen Übergriff. Rassismus, Klassenkampf und Sexismus dringen durch die Ritzen der Wände, sie sind immer da. Doch diese Nacht können sie nicht vergiften.
Der umwerfende Film endet mit einer herrlichen Szene, in der zwei Menschen auf einem Fahrrad im Morgengrauen nach Hause fahren. Im Abspann schreibt Regisseur Steve McQueen, wem er sein Werk widmet: „For all Lovers and Rockers“.