Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Eine globale Niederlage
Der Chef der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, ist auch in den eigenen Reihen umstritten, denn das Impfprogramm läuft nicht rund. Überdies ist die WHO ein Schlachtfeld der Großmächte.
Wenn Dr. Tedros über die Corona-Pandemie spricht, dann fallen oft die großen Worte. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beklagt „katastrophales moralisches Versagen“, verlangt „globale Solidarität“oder beschwört „unsere gemeinsame Zukunft“. Dabei geht es immer um die Zukunft der WHO und ihres Chefs selbst, der mit vollem Namen Tedros Adhanom Ghebreyesus heißt, aber oft nur Tedros genannt wird.
Der frühere Außenminister und Ex-Gesundheitsminister Äthiopiens befindet sich in einem Dauerkampf um seinen Chefposten in der Genfer WHO-Zentrale. Auf der anstehenden Weltgesundheitsversammlung Ende Mai dürfte Tedros (56) einmal mehr der geballte Unmut aus den 194 WHO-Mitgliedsländern entgegenschlagen – eskalierte doch in seiner 2017 begonnenen Amtszeit ein lokaler Corona-Ausbruch in China zu der schlimmsten globalen Gesundheitskrise seit Jahrzehnten. Die Liste der Fehler, die der WHO angekreidet werden, ist lang: Zu behäbig, zu umständlich, zu intransparent hätten die oberste internationale Gesundheitswächterin und ihr Chef auf das drohende Unheil reagiert. US-Präsident Donald Trump beschuldigte sie sogar, zusammen mit China den Beginn der Seuche vertuscht zu haben.
Im nächsten Jahr läuft die Amtszeit des WHO-Generaldirektors Tedros aus. Ob die Mitgliedsländer dem Mann fünf weitere Jahre an der Spitze gewähren, wird vor allem von Erfolgen gegen Covid-19 abhängen. Die Ausbreitung des Erregers will Tedros mit einem internationalen Netzwerk stoppen, das die WHO im April 2020 mitgründete: Covax. In dem Programm mischen fast alle Staaten und andere internationale Organisationen mit; Covax soll eine weltweit faire und schnelle Verteilung von Impfstoffen gegen Covid-19 sicherstellen. Zumal arme Länder für Covax-Lieferungen vorgemerkt sind, die meisten erhalten die Vakzine kostenlos. Tedros nennt Covax eine „großartige Chance“. Doch noch immer läuft das Programm nicht richtig rund.
Ende Februar lieferte Covax die ersten Impfdosen an das westafrikanische Ghana aus. Seitdem erhielten mehr als 100 Länder und Territorien Vakzine, meistens kostenlos und in überschaubaren Mengen. Insgesamt verschickte Covax bereits mehr als 38 Millionen Einheiten, es waren Wirkstoffe der Konzerne Astrazeneca, Biontech/Pfizer und des indischen Serum Institute. Der Covax-Verantwortliche Seth Berkley nannte die Lieferungen in selbstbewusster Manier „enorm zufriedenstellend“.
Doch die Menschen in den ärmsten Ländern warten oft zu lange auf Covax. Nur 0,2 Prozent der weltweit mehr als 700 Millionen verabreichten Impfungen erhielten Bewohner in den besonders schwach entwickelten Staaten, wie in Afrika. Bei den nationalen Impfkampagnen haben sich „viele Länder in Afrika kaum über die Startlinie bewegt“, warnt die WHO-Regionaldirektorin Matshidiso Moeti. Die Gründe? Zum einen hapert es in vielen Entwicklungsländern an ausreichender Infrastruktur und geschultem medizinischem Personal. Zum anderen fehlen dem freiwillig finanzierten Covax für 2021 noch immer zwei Milliarden US-Dollar – etliche wohlhabende Staaten knausern. Und es mangelt Covax am Impfstoff selbst, denn reiche Länder kaufen den Markt leer.
Trotz der Kalamitäten hält Covax an seinem ehrgeizigen Ziel fest: Bis Ende 2021 sollen zwei Milliarden Impfdosen ausgehändigt sein. Bleibt es bei dem bisherigen Tempo, so warnen Diplomaten, dann wird die Marke jedoch klar verfehlt. Das weiß auch WHO-Chef Tedros.
Kein Wunder, dass er bei fast jeder Gelegenheit vor dem „Impfstoff-Nationalismus“der wohlhabenden Nationen auf Kosten der Armen warnt.
Der Verbleib des ersten Afrikaners an der WHO-Spitze ist aber nicht nur an den Erfolg von Covax gekoppelt. Sein weiterer Karriereweg wird auch durch die rivalisierenden WHO-Schwergewichte USA und China bestimmt. „Im Moment kann man nicht voraussagen, ob die USA oder China sich offen gegen Tedros aussprechen“, erläutert David Fidler, Experte für öffentliche Gesundheit in der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations. Jedoch sieht Fidler auch nicht unbedingt einen „Enthusiasmus“für Tedros, weder in den Vereinigten Staaten noch in der Volksrepublik. Zumal gegen den Willen der USA, den größten Beitragszahler, lässt sich in der WHO kaum etwas durchsetzen. Die USA steuern 553 Millionen US-Dollar für den WHO-Zweijahreshaushalt 2020 und 2021 bei, der sich insgesamt auf 4,8 Milliarden US-Dollar beläuft.
Zunächst schien sich das Verhältnis der USA zur WHO nach dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden im Januar 2021 mit einem Schlag zu entspannen. Biden stoppte den von Vorgänger Trump eingeleiteten Austrittsprozess seines Landes aus der WHO und attestierte ihr, eine „entscheidende Rolle im Kampf der Welt“gegen die Covid-19-Pandemie zu spielen. Tedros und die WHO-Mitarbeiter atmeten auf. Die harschen Trump-Jahre waren vorbei.
Allerdings werfen die USA den Chinesen weiter vor, den Ursprung des Corona-Erregers zu verdunkeln. Zusammen mit 13 gleichgesinnten Staaten bezweifeln die Amerikaner, dass China an einer unabhängigen, transparenten und gründlichen Aufklärung überhaupt interessiert ist. Die 14 Länder verwerfen eine unlängst veröffentlichte gemeinsame Studie der WHO und Chinas und verlangen eine zusätzliche Untersuchung. Diese müsse „frei von Einmischungen und unzulässiger Einflussnahme“sein.
Die Liste der Fehler, die der WHO angekreidet werden, ist lang