Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Ein großer Park für Gelderns Tote
Der Friedhof wurde vor 200 Jahren eingeweiht. Er ist eine grüne Oase voller Denkmäler. Über alte Historie und neue Trends.
GELDERN Über Jahrhunderte war es in Geldern so wie überall. Die Toten, so Stadtarchivarin Yvonne Bergerfurth, wurden im eingefriedeten Bereich um die Kirchen herum bestattet. Doch als die Bevölkerung wuchs und die Leichname auf den „Gottesäckern“immer mehr wurden, ergaben sich Probleme. Verwesungsgeruch belästigte die Lebenden, es bestand Seuchengefahr, die Hygieneregeln wurden strenger und oft waren die Friedhöfe schlecht gepflegt. Ab dem 18. Jahrhundert wurden deshalb Friedhöfe zunehmend vor die Tore der Stadt verlagert. So auch in Geldern. 1821 wurden die evangelischen und katholischen Friedhöfe aufgehoben, am 27. April 1821, vor 200 Jahren, kam es zur Einweihung des neuen Friedhofs hinter dem Geldertor.
Die großzügige Parkanlage wird nicht nur von den Angehörigen der dort Bestatteten betreten. Besucher von auswärts genießen die grüne Oase, weiß Georg Kamps, der Leiter der Stadtgärtnerei. Bei ihren Spaziergängen hören sie Vogelgezwitscher, beobachten Eichhörnchen und schauen hinauf zu den Kronen mächtiger Bäume. Der Baumbestand ist bis zu 200 Jahre alt. Etwa die Robinie, die unmittelbar am Hochkreuz steht. Es gibt eine Artenvielfalt an Gehölzen. So sind neben Birken, Buchen und Eichen unter anderem auch Roteichen, Trauerweiden, Winterlinden, Tulpenbäume und Amberbäume zu finden. Der Sturm „Kyrill“und Windhosen haben schon manche Schneisen geschlagen und Friedhofswart Michael Jeuken zu Mehrarbeit gezwungen.
Den steinernen Dokumenten für das Sterben der Menschen kann Wind nichts anhaben. Viele Grabmäler auf dem Gelderner Friedhof stehen auf der Denkmalliste der Stadt. Etwa das von Josef Friedrich Nettesheim (1818-1881), dem Geschichtsschreiber des Gelderlandes, der 1851 einer der Mitgründer des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend war. Oder das der Familie Bösken: Heinrich Bösken (1854-1918) war ein Gelderner Fabrikant und gründete 1878 in der Stadt sein Institut für kirchliche Kunst am Niederrhein. Oder die Ruhestätte der St.-Clemens-Schwestern. Oder der Ehrenfriedhof mit Kriegsgräbern aus beiden Weltkriegen. Das größte Gebäude auf dem Friedhof ist die so genannte
Haagsche Kapelle. „Sie ist Eigentum der Familie von Hoensbroech auf Schloss Haag“, erklärt Stadtarchivarin Bergerfurth. Das Grundstück für den Friedhof erwarb die Stadt Geldern vom Reichsgrafen von Hoensbroech. 1858 wurde die Grabkapelle errichtet. Franz Egon von Hoensbroech und seine Frau Mathilde entschieden sich für den Entwurf des renommierten Architekten Vincenz Statz. Wie viele Sakralgebäude jener Zeit entstand die Kapelle im neugotischen Stil. Das war laut Yvonne Bergerfurth auch ein Zeichen der dezidiert katholischen Familie während des ab den 1830er Jahren entflammten Streits zwischen Preußen und der katholischen Kirche, der in den 1870er Jahren seinen Höhepunkt in den Kulturkämpfen erlebte.
Zu jener Zeit waren die aus heutiger Sicht übergroßen Parkgrabstellen nichts Ungewöhnliches. Mittlerweile haben sich die Bestattungsformen geändert. „Es geht, gerade in der Stadt, mehr in Richtung Splittung“, erläutert Kamps. Gräber sind einstellig, also für einen Toten, statt wie früher mit vier oder noch mehr Stellen. Gab es vor 25 Jahren noch zu 95 Prozent Erdbestattungen, so wurden im vergangenen Jahr zu 60 Prozent Urnenbestattungen und zu 40 Prozent Erdbestattungen durchgeführt. Das führt zu weniger Platzbedarf.
Die Nachfrage nach für die Angehörigen pflegefreien Gräbern wächst, denn viele Nachkommen leben mehr oder weniger weit von Geldern entfernt. Bei Rasenreihengräbern zum Beispiel beseitigt die
Gärtnerei Schäden, die nach Absenkungen des Erdreichs entstanden sind. Eine pflegefreie Alternative sind auch Urnengemeinschaftsgräber, die es seit etwa 2010 auf dem Gelderner Friedhof gibt.
Die Bestattung in einem Baumreihengrab ist ein neues Angebot, das laut Kamps gut angenommen wird. Bisher sind 45 Urnen rund um eine Winterlinde im Erdreich versenkt. Auf einer Eichenstele sind Plaketten mit den Namen der Verstorbenen befestigt. „Wir wissen genau, wo welche Urne ist“, sagt Friedhofswart Jeuken. Per Kompass wird jedes der 50 mal 50 Zentimeter großen Urnenfelder eingemessen, wobei der Mittelpunkt des Baumes der Ausgangspunkt der Messung ist. Sollte einer der Toten einmal umgebettet werden, ist sichergestellt, dass in jedem Fall auch die richtige Urne ausgegraben wird. Aufgrund der sehr großen Nachfrage ist in unmittelbarer Nachbarschaft an einer Roteiche ein zweites Baumreihengrab gerade fertig geworden.
Einer der neue Trends ist auch der Memoriam-Garten. Er wurde 2016 angelegt. Auch wer eine Baumbestattung möchte, kommt auf dem Gelderner Friedhof zum Zuge. „Wir versuchen, Trends nicht zu verpassen“, betont Kamps.
Am preisgünstigsten sind Urnenrasenreihengräber, die seit 2016 angeboten werden und auch sozial Schwachen ermöglichen, in ihrer Heimatstadt die ewige Ruhe zu finden. Jeuken: „Vorher sind solche Menschen oft in Bielefeld kremiert und begraben worden, weil es da viel billiger war.“
Nur der Friedhofswart und die Urne sind anwesend, wenn ein Mensch anonym bestattet wird. „Eine anonyme Bestattung muss testamentarisch festgelegt sein“, weiß Jeuken. Nur noch ein- bis zweimal im Jahr nimmt er diese Prozedur vor, weil zunehmend auf pflegefreie Alternativen ausgewichen werde. Der genaue Platz der Urne auf der Fläche für Anonym-Bestattungen bleibt geheim. Doch ist es möglich, auf dem Gräberfeld die Namen der Verstorbenen sichtbar zu machen. Dafür ist der Marmorsockel eines alten Denkmals auf dem 200-jährigen Friedhof von Geldern da.