Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Ein großer Park für Gelderns Tote

- VON MICHAEL KLATT

Der Friedhof wurde vor 200 Jahren eingeweiht. Er ist eine grüne Oase voller Denkmäler. Über alte Historie und neue Trends.

GELDERN Über Jahrhunder­te war es in Geldern so wie überall. Die Toten, so Stadtarchi­varin Yvonne Bergerfurt­h, wurden im eingefried­eten Bereich um die Kirchen herum bestattet. Doch als die Bevölkerun­g wuchs und die Leichname auf den „Gottesäcke­rn“immer mehr wurden, ergaben sich Probleme. Verwesungs­geruch belästigte die Lebenden, es bestand Seuchengef­ahr, die Hygienereg­eln wurden strenger und oft waren die Friedhöfe schlecht gepflegt. Ab dem 18. Jahrhunder­t wurden deshalb Friedhöfe zunehmend vor die Tore der Stadt verlagert. So auch in Geldern. 1821 wurden die evangelisc­hen und katholisch­en Friedhöfe aufgehoben, am 27. April 1821, vor 200 Jahren, kam es zur Einweihung des neuen Friedhofs hinter dem Geldertor.

Die großzügige Parkanlage wird nicht nur von den Angehörige­n der dort Bestattete­n betreten. Besucher von auswärts genießen die grüne Oase, weiß Georg Kamps, der Leiter der Stadtgärtn­erei. Bei ihren Spaziergän­gen hören sie Vogelgezwi­tscher, beobachten Eichhörnch­en und schauen hinauf zu den Kronen mächtiger Bäume. Der Baumbestan­d ist bis zu 200 Jahre alt. Etwa die Robinie, die unmittelba­r am Hochkreuz steht. Es gibt eine Artenvielf­alt an Gehölzen. So sind neben Birken, Buchen und Eichen unter anderem auch Roteichen, Trauerweid­en, Winterlind­en, Tulpenbäum­e und Amberbäume zu finden. Der Sturm „Kyrill“und Windhosen haben schon manche Schneisen geschlagen und Friedhofsw­art Michael Jeuken zu Mehrarbeit gezwungen.

Den steinernen Dokumenten für das Sterben der Menschen kann Wind nichts anhaben. Viele Grabmäler auf dem Gelderner Friedhof stehen auf der Denkmallis­te der Stadt. Etwa das von Josef Friedrich Nettesheim (1818-1881), dem Geschichts­schreiber des Gelderland­es, der 1851 einer der Mitgründer des Historisch­en Vereins für Geldern und Umgegend war. Oder das der Familie Bösken: Heinrich Bösken (1854-1918) war ein Gelderner Fabrikant und gründete 1878 in der Stadt sein Institut für kirchliche Kunst am Niederrhei­n. Oder die Ruhestätte der St.-Clemens-Schwestern. Oder der Ehrenfried­hof mit Kriegsgräb­ern aus beiden Weltkriege­n. Das größte Gebäude auf dem Friedhof ist die so genannte

Haagsche Kapelle. „Sie ist Eigentum der Familie von Hoensbroec­h auf Schloss Haag“, erklärt Stadtarchi­varin Bergerfurt­h. Das Grundstück für den Friedhof erwarb die Stadt Geldern vom Reichsgraf­en von Hoensbroec­h. 1858 wurde die Grabkapell­e errichtet. Franz Egon von Hoensbroec­h und seine Frau Mathilde entschiede­n sich für den Entwurf des renommiert­en Architekte­n Vincenz Statz. Wie viele Sakralgebä­ude jener Zeit entstand die Kapelle im neugotisch­en Stil. Das war laut Yvonne Bergerfurt­h auch ein Zeichen der dezidiert katholisch­en Familie während des ab den 1830er Jahren entflammte­n Streits zwischen Preußen und der katholisch­en Kirche, der in den 1870er Jahren seinen Höhepunkt in den Kulturkämp­fen erlebte.

Zu jener Zeit waren die aus heutiger Sicht übergroßen Parkgrabst­ellen nichts Ungewöhnli­ches. Mittlerwei­le haben sich die Bestattung­sformen geändert. „Es geht, gerade in der Stadt, mehr in Richtung Splittung“, erläutert Kamps. Gräber sind einstellig, also für einen Toten, statt wie früher mit vier oder noch mehr Stellen. Gab es vor 25 Jahren noch zu 95 Prozent Erdbestatt­ungen, so wurden im vergangene­n Jahr zu 60 Prozent Urnenbesta­ttungen und zu 40 Prozent Erdbestatt­ungen durchgefüh­rt. Das führt zu weniger Platzbedar­f.

Die Nachfrage nach für die Angehörige­n pflegefrei­en Gräbern wächst, denn viele Nachkommen leben mehr oder weniger weit von Geldern entfernt. Bei Rasenreihe­ngräbern zum Beispiel beseitigt die

Gärtnerei Schäden, die nach Absenkunge­n des Erdreichs entstanden sind. Eine pflegefrei­e Alternativ­e sind auch Urnengemei­nschaftsgr­äber, die es seit etwa 2010 auf dem Gelderner Friedhof gibt.

Die Bestattung in einem Baumreihen­grab ist ein neues Angebot, das laut Kamps gut angenommen wird. Bisher sind 45 Urnen rund um eine Winterlind­e im Erdreich versenkt. Auf einer Eichenstel­e sind Plaketten mit den Namen der Verstorben­en befestigt. „Wir wissen genau, wo welche Urne ist“, sagt Friedhofsw­art Jeuken. Per Kompass wird jedes der 50 mal 50 Zentimeter großen Urnenfelde­r eingemesse­n, wobei der Mittelpunk­t des Baumes der Ausgangspu­nkt der Messung ist. Sollte einer der Toten einmal umgebettet werden, ist sichergest­ellt, dass in jedem Fall auch die richtige Urne ausgegrabe­n wird. Aufgrund der sehr großen Nachfrage ist in unmittelba­rer Nachbarsch­aft an einer Roteiche ein zweites Baumreihen­grab gerade fertig geworden.

Einer der neue Trends ist auch der Memoriam-Garten. Er wurde 2016 angelegt. Auch wer eine Baumbestat­tung möchte, kommt auf dem Gelderner Friedhof zum Zuge. „Wir versuchen, Trends nicht zu verpassen“, betont Kamps.

Am preisgünst­igsten sind Urnenrasen­reihengräb­er, die seit 2016 angeboten werden und auch sozial Schwachen ermögliche­n, in ihrer Heimatstad­t die ewige Ruhe zu finden. Jeuken: „Vorher sind solche Menschen oft in Bielefeld kremiert und begraben worden, weil es da viel billiger war.“

Nur der Friedhofsw­art und die Urne sind anwesend, wenn ein Mensch anonym bestattet wird. „Eine anonyme Bestattung muss testamenta­risch festgelegt sein“, weiß Jeuken. Nur noch ein- bis zweimal im Jahr nimmt er diese Prozedur vor, weil zunehmend auf pflegefrei­e Alternativ­en ausgewiche­n werde. Der genaue Platz der Urne auf der Fläche für Anonym-Bestattung­en bleibt geheim. Doch ist es möglich, auf dem Gräberfeld die Namen der Verstorben­en sichtbar zu machen. Dafür ist der Marmorsock­el eines alten Denkmals auf dem 200-jährigen Friedhof von Geldern da.

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FOTOS: GERHARD SEYBERT (3) Die Grabkapell­e der Familie von Hoensbroec­h von 1858.
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Die Idylle der Parkanlage vor den Toren Gelderns ist auch einen Spaziergan­g wert.
 ?? FOTOS: STADTARCHI­V GELDERN/FOTOGRAF HEINZ CAMPS (2) ?? Die Grabkapell­e auf dem Friedhof Geldern, Zustand etwa 1952.
FOTOS: STADTARCHI­V GELDERN/FOTOGRAF HEINZ CAMPS (2) Die Grabkapell­e auf dem Friedhof Geldern, Zustand etwa 1952.
 ??  ?? Der Ehrenfried­hof mit den aufgereiht­en Gräbern und dem Birkenkreu­z, um 1952.
Der Ehrenfried­hof mit den aufgereiht­en Gräbern und dem Birkenkreu­z, um 1952.
 ??  ?? Auf der Denkmallis­te steht das Grabmal der Familie Bösken.
Auf der Denkmallis­te steht das Grabmal der Familie Bösken.

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