Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Als Kaiser Wilhelm ein Auge zudrückte

- VON MONIKA KRIEGEL

Der ehemalige Gasthof „Zur Post“ist ein Quell Aldekerker Geschichte. Johannes Friedrich, Besitzer des mehr als 300 Jahre alten Gebäudes an der Hochstraße, kann unter anderem Anekdoten von gekrönten Häuptern erzählen.

ALDEKERK Mehr als drei Jahrhunder­te hat der an der Hochstraße 59 in Aldekerk gelegene Gebäudekom­plex schon auf dem Buckel. Und die Mauern haben einiges zu erzählen. Einst rasteten sogar gekrönte Häupter im dort gelegenen Gasthof.

Der heutige Besitzer Johannes Friedrich hat in liebevolle­r Kleinarbei­t nicht nur die ständige Restaurati­on übernommen. Der gebürtige Schlesier fasst die wechselvol­le Geschichte des Gebäudes zusammen. „Das Haus wurde von der Familie Slex im Jahre 1712 erbaut, dokumentie­rt auf den Ankern an der Front des Hauses. Es diente nicht nur als Bauernhof, sondern war gleichzeit­ig Gaststätte und Hotel ‚Zum Oranienbau­m’“, erzählt er. Zum Drehund Angelpunkt wurde die Station ab 1764 als Posthalter­ei zum Wechseln der Pferde für die Kutsche. Durch Aldekerk führte die stark frequentie­rte Postlinie Köln – Krefeld – Kleve. Durch Einheirat wechselte nicht nur der Name zur Familie von Jakob Walters, der es 1833 kaufte,

„Wir sind für 18 Monate ausgezogen, um alle Räume auf den modernsten Stand der Technik zu bringen“

Johannes Friedrich über die Renovierun­g 1995/96

sondern es ging – so wird vermutet – damit der Namenswech­sel in Gasthof „Zur Post“einher.

Wie Friedrich aus örtlicher Überliefer­ung erfuhr, hatte das Gasthaus mitsamt Küche einen ausgesproc­hen guten Ruf und war weit über die Grenzen von Aldekerk hinaus bekannt. Stammgäste waren unter anderen die Herren von Bloemershe­im (Vluyn), Hoensbroec­h (Schloss Haag) und van Loe (Schloss Wissen). Beispielsw­eise auch König Friedrich Wilhelm machte 1763 in Aldekerk Station. Während der französisc­hen Besatzung bewohnten im Zeitraum von 1794 bis 1815 hochrangig­e Offiziere das Hotel. Zar Alexander von Russland kam 1814 während der Verfolgung von Napoleon durch Aldekerk.

Eine schöne Anekdote hielt Pfarrer Janssen 1856 in seinem Tagebuch fest. Kronprinz Wilhelm, später Kaiser Wilhelm I., sollte feierlich von den Honoratior­en empfangen werden. „Die Ankunft verzögerte sich lange, so dass die Wartenden Durst bekamen und sich einen tranken. Und noch einen und schließlic­h über Erzählen und Prüwen die Ankunft des Prinzen nicht merkten. Die Wagen fuhren vorbei und kamen beim Gasthof ,Zur Post’ an. Dort musste Jakob Walters als Postmeiste­r die Gäste begrüßen, während ein Bote den Bürgermeis­ter und die anderen holte. Diese kamen nun pustend und außer Atem an, wo der Kronprinz leutselig über ihr Missgeschi­ck hinwegsah. Als die Pferde gewechselt waren und der hohe Gast weitergefa­hren war, wurde dieses Unglück, das ihnen passiert war, weiter betrunken.“

Die Gaststätte bildete über viele Jahre das Stammlokal vieler Aldekerker Vereine. Immer wieder zeigen die Bilder die Bauernscha­ft anlässlich der Festzüge zum Erntedank. Im

Bilderboge­n aus „100 Jahre in Aldekerk und Nieukerk“sitzen in einer Aufnahme von 1943 die Frauen des Ortes im Sälchen von Walters, um Pelze für die Soldaten in Russland zu nähen. Der letzte Wirt, Gerhard Walters, starb unverheira­tet im Ersten Weltkrieg. Seine Schwester Berta, ebenfalls unverheira­tet und kinderlos, übernahm den Hof und die Gastwirtsc­haft. Aus Altersgrün­den zog sie mit 65 Jahren aus dem Gebäudekom­plex aus. Erst nach elfjährige­m Leerstand kaufte Johannes Friedrich 1967 das Gehöft mit den Nebengebäu­den. Der neue Besitzer machte alles wieder nutzbar.

Hotel, die Gaststätte und der Saal wurden zu Wohneinhei­ten umgebaut, ein Teil der Wirtschaft­sräume für einige Jahre vermietet. Von 1967 bis 1974 betrieb Friedrich einen Getränkefa­chgroßhand­el, den er später an einen Mitarbeite­r übergab.

Ab 1979 wurden die Wirtschaft­sräume erneut für den Zeltverlei­h genutzt. „Es gab einen riesigen Bierkeller, 2,70 Meter hoch“, erinnert sich Friedrich an den Ur-Zustand. Das Denkmal renovierte er 1995 und 1996 von Grund auf. „Wir sind für 18 Monate ausgezogen, um alle Räume auf den modernsten Stand der Technik zu bringen“, erklärt der Senior.

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REPROS: KRIEGEL Auf dieser Aufnahme aus dem Jahr 1943 werden im kleinen Saal der Gaststätte Pelzmäntel für die Soldaten an der Russland-Front genäht.
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Diese Erntedank-Gruppe versammelt­e sich 1964 zum Feiern auf dem Gasthof Walters.
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Markant war die Fassade des Hotels und der Gaststätte „Zur Post“in Aldekerk. Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1960.

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