Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Der Unparteiische aus Nieukerk
Guido Winkmann: Fußball-Bundesliga-Schiedsrichter, Polizist und vorübergehend Politiker mit Landrats-Ambitionen.
NÜTTERDEN/NIEUKERK Mit 47 Jahren schickt der Deutsche Fußball-Bund seine Bundesliga-Schiedsrichter in den Ruhestand. Der Verband hält die körperlichen Anforderungen in diesem Hochleistungssport für derart betagte Menschen für zu hoch. Wer noch nicht genug hat von öffentlicher Entscheidungsfindung, der darf sich allerdings weiter in den Kölner Videokeller setzen, der so viele Fußballfreunde mit seinen nachträglichen Korrekturen jedes Wochenende aufs Neue erfreut. Im Keller wird schließlich nicht gerannt. Guido Winkmanns Karriere als einer der führenden deutschen Fußball-Schiedsrichter ist also nicht ganz am Ende angelangt, obwohl er jetzt die Altersgrenze für die Spielleiter auf dem Bundesliga-Rasen erreicht hat.
Vielleicht aber hat die Tatsache, dass er sich auf das Ende dieses Lebensabschnitts zu bewegte, in Winkmann etwas ausgelöst. Er hat sich wohl nicht zufällig im vergangenen Jahr als parteiloser Kandidat für die Landratswahl im Kreis Kleve aufstellen lassen. Den Grund dafür hat der Polizist aus Nieukerk so beschrieben: „Mein Motto lautet: nicht meckern, machen.“Das mit dem Meckern kennt er ja schon vom Fußballplatz.
Zu meckern hatte er offenbar genug in der großen Kommunalpolitik. Selbst als er als Dritter der Wahl mit gut 30.000 Stimmen knapp eine Stichwahl verpasst hatte, wollte er sich nicht auf eine Empfehlung für andere Kandidaten festlegen. Nicht, weil er es etwa für unfair gehalten hätte, sondern weil er keinen Kandidaten für geeignet hielt. „Wenn ich einen geeigneten Kandidaten gesehen hätte, wäre ich nicht angetreten“, sagte er. Und als es im vergangenen Jahr darum ging, den Ort für ein Corona-Impfzentrum im Kreisgebiet festzulegen, kam Winkmann noch einmal aus der Deckung. Obwohl er der Landrätin Silke Gorißen eigentlich 100 Tage Ruhe versprochen hatte, meldete er sich zu Wort. „Mehr als 30.000 Menschen haben mir ihre Stimme gegeben. Nochmals danke ich für das Vertrauen. Grundsätzlich wollte ich mich erst später melden, aber die Situation erfordert auch mal kritische Worte – auch in Pandemie-Zeiten“, erklärte er, „ein Impfzentrum in Hönnepel ist fragwürdig, es wird auch den Zusammenhalt im Kreis Kleve nachhaltig schwächen.“
Eine Feststellung aus berufenem Mund. Denn Winkmann steht eigentlich für den Zusammenhalt zwischen dem Norden und Süden des Kreises. Aufgewachsen ist er in Nütterden, den Ort bezeichnet er als Heimat, sein Abitur hat er am Konrad-Adenauer-Gymnasium in Kleve-Kellen gemacht, und er wohnt (siehe oben) inzwischen in Nieukerk. Winkmann pfeift für den SV Nütterden, dem er damit auch ein bisschen größere Bekanntheit in Deutschland verschafft hat. Gespielt hat er dort auch, aber es war früh abzusehen, dass er als Schiedsrichter ein besonderes Talent mitbringt. Schon mit 15 leitete er die ersten Spiele, und mit 27 Jahren wurde er erstmals auf der Liste der DFB-Schiedsrichter geführt. 30 war er, als er sein erstes Zweitligaspiel pfiff.
Vier Jahre darauf feierte er das Bundesliga-Debüt bei der Begegnung zwischen Energie Cottbus und der TSG Hoffenheim. Ältere Menschen werden sich erinnern, dass Cottbus mal in der Ersten Liga spielte. Energie tritt mittlerweile in der Regionalliga Nordost an, der vierten Liga. Winkmann dagegen hielt sich in der ersten Klasse. Er bestand den Wettbewerb, dem auch die besten Schiedsrichter jährlich ausgesetzt sind, schaffte die Leistungstests, die Bewertung bei jedem Spiel. Und es gelang ihm auch, sich in der schönen neuen Welt der Fernsehen schauenden Assistenten aus dem Kölner Keller zu bewähren. Mitunter durch denkwürdige Entscheidungen. So ließ er im April 2018 die Spieler von Mainz und Freiburg zur Halbzeit aus dem Kabinengang zurück auf den Rasen marschieren, weil seiner Kollegin Bibiana Steinhaus in der Domstadt aufgefallen war, dass es in der letzten Minute doch wohl ein handverdächtiges Eingreifen eines Freiburger Fußballers im eigenen Strafraum gegeben haben könnte. „Guido, warte, Guido, warte“, habe Steinhaus auf seinen Kopfhörer gerufen, erinnert er sich. Er überprüfte die Szene am TV-Gerät am Spielfeldrand, befand, dass die Kollegin richtig gesehen hatte, und verhängte einen Elfmeter. Pablo de Blasis verwandelte – statt 0:0 hieß es zur Pause 1:0. „Winkmann hat sich völlig korrekt verhalten“, so der DFB.
Nicht ganz so korrekt ging es am Rande eines Spiels in Köln zu. Der damalige FC-Manager Jörg Schmadtke beschimpfte Winkmanns Team als „Eierköppe“. Und er weigerte sich, eine DFB-Strafe anzuerkennen, „weil Eierkopp im Rheinland keine Beleidigung ist“. Winkmann nahm es mit Humor. Davon bringt er nämlich auch eine gehörige Portion mit.
Das belegt diese Anekdote: Im Bundesligaspiel zwischen Köln und Mainz ging der Kölner Stürmer Jhon Cordoba schwer getroffen zu Boden. Er hatte offenbar schlimme Schmerzen. Winkmann eilte herbei und fragte, ob er für medizinische Hilfe sorgen solle – auf Deutsch und auf Englisch. Cordoba reagierte nicht. Weil es sich um eine der unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragenen Begegnungen der Corona-Zeit handelte, drang jedes Wort nach draußen – auch zu Achim Beierlorzer an der Seitenlinie. Weil der Mainzer Coach zuvor den FC betreut hatte, rief er auf den Platz: „Der versteht nur Spanisch.“Winkmanns Replik: „Auf Spanisch kann ich nur Cerveza.“Aber auch ohne Bier ging alles gut aus.