Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Steingewordener Kompromiss
Für die einen architektonisches Highlight, für die anderen Hassobjekt der Wiedervereinigung: Das Humboldt-Forum ist eröffnet.
BERLIN Kaiser Wilhelm ist auch wieder da. Mit stolzem Blick und ordensgeschmückter Brust blickt er auf den Besucher. So gehört sich das wohl für den einstigen Hausherrn des Hohenzollern-Schlosses mitten in Berlin, nun, da sein architektonisches Ausrufezeichen für den Anspruch auf Preußen, Europa und die Welt wiederaufgebaut ist und an diesem Dienstag festlich eröffnet wurde. Aber Wilhelm II. steht nicht etwa an einem der Eingangsportale. Sein Bild hängt vielmehr ziemlich versteckt in einer Nische der Ausstellung zur Berliner Stadtgeschichte in der ersten Etage des Schlosses. Es heißt nun Humboldt-Forum. Und Seine Majestät ist darin ein ziemlich unwichtig gewordener Nebenaspekt des Themas „Mode“. Ja, Uniformen wurden in Berlin auch mal getragen, wie man an diesem komischen Typen sieht. Ist lange her. Und der Mann auf dem Bild ist betitelt mit „Ex“. War mal Kaiser. Mit Betonung auf „war“.
Die Stellung des Kaisers in seinem einstigen Preußen-Palast ist geringer als der Stellenwert, den Schau und Raum der Zwischennutzung des Areals als Erich Honeckers Palast der Republik einräumen. Leuchtmittel aus „Erichs Lampenladen“finden sich an mehreren Stellen, in riesigen Panoramaformaten werden die 70er-Jahre in Bars und Volkskammer lebendig, als der Palast der Republik eine moderne, weltoffene DDR präsentieren sollte. Insofern ist der Wiederaufbau
des Stadtschlosses nicht die Entfernung der DDR aus der deutschen Geschichte und ihre Ersetzung durch die historische Preußenkulisse vor Krieg und Teilung. Es ist im Innern der Kompromiss, der auch das Äußere prägt. Nord-, Südund Westfassade bilden die Rekonstruktion des Barockschlosses einschließlich Kuppel und Kreuz, vom Osten ist es die Fassade eines modernen Zweckbaus.
Der italienische Architekt Franco Stella hat diesen Kompromiss Stein werden lassen. Vom Westen komplettiert die barocke Schlossarchitektur das Bild zwischen Museumsinsel, Berliner Dom und Marstall. Vom Osten könnte es ein grundsanierter Palast der Republik sein, der freilich die Etagen-Anmutung des barocken Vorgängers aufgreift. Und wie sieht der Blick von innen aus? Zwei ständig geöffnete Durchgänge nehmen die Besucher in die modernisierte Architekturgeschichte hinein, bieten ihnen im Schlüter-Hof ein wenig mediterranes Flair vor dem prächtigen Eosander-Portal und Raum zum Verweilen. Im Süden fällt beim Rausgehen der Blick auf Rotes Rathaus, Hanns-Eisler-Hochschule, das ehemalige Staatsratsgebäude und das Auswärtige Amt. Im Norden sieht der Passant nach dem Forumsbesuch das Deutsche Historische Museum, das Alte Museum, den Berliner Dom und den Alexanderplatz. Eine West-Ost- und Alt-neu-Anmutung also auch hier.
71 Jahre nach der Sprengung des Schlosses, 14 Jahre nach dem Baubeschluss und sieben Jahre nach dem ersten Spatenstich ist für 700 Millionen Euro (davon über 100 aus Spenden) eine Schlossanmutung als neues kulturelles Zentrum entstanden. Zur Relation der Kosten: Für die Verlängerung der U-Bahn vom Alexanderplatz unterm Schloss hindurch zum Hauptbahnhof waren 160 Millionen mehr nötig. Kulturstaatsministerin Monika Grütters würdigt das Gebaute bei der Eröffnung am Dienstag als „größtes Kulturprojekt Deutschlands“, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller spricht von einem „großartigen Tag für Berlin“und einem „neuen Anziehungspunkt“in der Mitte der Hauptstadt. Und Generalintendant Hartmut Degerloh freut sich auf viele Besucher, mit denen er diesen Ort „zum lebendigen Forum machen“will.
Vor allem wird das Forum aber als ein lebendiger Konflikt wahrgenommen werden, wenn im September die beiden Dauerausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst im zweiten und dritten Obergeschoss des Komplexes eröffnen. Denn die Debatte um den Umgang mit jenen Objekten, die den Kolonialismus spiegeln, hat seit den ersten musealen Überlegungen an Schärfe rapide zugenommen. Die Staatlichen Museen zu Berlin bemühen sich bereits im Vorfeld, die fatale Vergangenheit in eine Gegenwart der Verständigung und Zukunft der Versöhnung zu drehen. Es ist offen, ob ihnen das gelingt oder der Ruf nach Rückgabe stärker wird.
Wie es gelingen kann, die Befürchtung einer verstaubt präsentierten Stadtgeschichte zu verscheuchen, zeigt jedenfalls schon einmal die Berlin-Ausstellung im ersten Obergeschoss. Sie folgt dem Konzept, wonach das Lokale vom Globalen bestimmt und das Globale durch das Lokale verständlich wird. Wie kaum eine andere Stadt ist Berlin von Nicht-Berlinern geprägt – und von den Verknüpfungen mit vielen Orten und Kulturen der Welt. Die Information und Aufklärung über das Erlebnis Berlin gilt vielen Sinnen – bis hin zum Geruch. Mit Chip am Handgelenk gibt es nicht Vorgestanztes für alle, sondern Gestaltbares für jeden. Auch die Provokation gehört dazu.
Eine andere von jetzt schon sechs Ausstellungen heißt „schrecklich schön“und widmet sich dem Verhältnis von Mensch und Elefant. Die Bedeutung des Elfenbeins wird nicht nur für Diplomatie, Handel, Musik, Kunsthandwerk und Medizin klar. Es geht auch emotional um die Laute einer sterbenden Elefantenkuh und um die Kraft der Geschöpfe. „Rommels Toyota“steht auch hier: Das zertrampelte Wrack von Elefantenfreunden, die einem aggressiven Tier in die Quere kamen. Schon wenige Stunden reichen, um mit vielen neuen Bildern, mehr Wissen und interessanten Ideen das Humboldt-Forum zu verlassen. Zusammen sagen sie: mehr davon.