Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
„Builder“besiegt „Bulldozer“
Regierungswechsel in Australien: Labor mit Anthony Albanese gewinnt die Wahl.
SYDNEY Australiens Mitte-rechtsKoalition muss abtreten. Die Parlamentswahl am Samstag bringt die Sozialdemokraten der Labor Party nach fast einem Jahrzehnt in der Opposition zurück in die Regierung. Neuer Premierminister wird Anthony Albanese, der als Sohn einer alleinerziehenden Mutter in einer Sozialwohnung aufwuchs. Nach Hochrechnungen vom Sonntag wird Labor mindestens eine Minderheitsregierung bilden können. Ob es für eine Mehrheitsregierung – also mindestens 76 der insgesamt 151 Sitze im Repräsentantenhaus – reicht, war zunächst unklar.
Die Wahl blieb lange spannend; Am Freitagabend nannte Australiens führender Wahlexperte Antony Green sie sogar „chaotisch“. Das lag daran, dass zahlreiche Wähler sich von den großen Parteien abgewandt hatten. Die Gewinner waren die Grünen und eine Reihe unabhängiger Kandidaten – meistens Akademikerinnen, die sich den Kampf gegen den Klimawandel auf die Fahnen geschrieben haben. Das Thema Nummer eins, das die liberal-konservative Regierung unter Scott Morrison entscheidende Stimmen gekostet hat, scheint der Klimawandel gewesen zu sein – ein
Aspekt, den die Regierung eher vernachlässigt hatte.
Der sechswöchige Wahlkampf, der der Wahl vorausgegangen war, war ähnlich chaotisch wie der Wahlabend: Der sozialdemokratische Kandidat Albanese fiel gleich am ersten Tag der Wahlkampagne mit einem mentalen Blackout auf. Wenig später wurde dann eine Corona-Infektion diagnostiziert; Albanese fiel für sieben Tage aus, da er sich in Isolation begeben musste. Auch Morrisons Wahlkampf lief nicht rund. In einer Debatte sagte er vor Publikum, er sei „gesegnet“, keine Kinder mit Behinderungen zu haben. Auch die vielen inszenierten Fotogelegenheiten, die der ehemalige Marketingmann Morrison den Medien regelmäßig servierte, brachten ihm eher Häme als Applaus ein: So wusch er einer Kundin in einem Friseursalon die Haare, und für einen TV-Beitrag gab er seiner Familie ein Ständchen mit einer Ukulele.
Bisher hatten die Liberalkonservativen oft noch mit einer relativ starken Wirtschaft punkten können, doch selbst diese ist inzwischen angeschlagen. Zwar verharrt die Arbeitslosenquote auf einem Rekordtief, doch die Inflation ist mit 5,1 Prozent hoch. Zudem hat die Zentralbank begonnen, den Leitzins anzuheben. Das trifft viele Bürger, da Australier oft hohe Hypotheken aufnehmen, um sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.
Albanese punktete weniger mit großen Visionen; vielmehr verkaufte er sich als der „nettere Mensch“und versprach ein „milderes“Vorgehen als Morrison. Er wolle mehr „Builder“als „Bulldozer“sein, sagte er – also jemand, der aufbaut und nicht niederwalzt. Morrison hatte sich selbst als „Bulldozer“bezeichnet. Albanese will „Erneuerung“, aber keine „Revolution“: Beim Kampf gegen den Klimawandel verspricht er mehr Einsatz, ohne sich zu allzu ehrgeizigen Zielen zu verpflichten.