Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Mensch und Tier als Geschunden­e

Die belgische Künstlerin Berlinde De Bruyckere zeigt im Arp-Museum Bahnhof Rolandseck kopflose Leiber aus Wachs, Harz und Blei.

- VON BERTRAM MÜLLER

REMAGEN Eine der internatio­nal bedeutends­ten Bildhaueri­nnen der Gegenwart lebt im belgischen Gent und ist hierzuland­e kaum bekannt. Dabei richten sich ihre Skulpturen, Installati­onen und Zeichnunge­n unmittelba­r an jene, denen die Zumutungen von heute auf die Seele drücken: Corona, Klimawande­l, Gewalt und Ungerechti­gkeit weltweit und vor allem der Krieg in der Ukraine. In den hellen, von Richard Meier entworfene­n Räumen des Remagener Arp-Museums Bahnhof Rolandseck mutet die Künstlerin den Betrachter­n einiges zu – und scheint sie zugleich tröstend in den Arm nehmen zu wollen.

Schönheit und Grausamkei­t, Leben und Tod liegen in Berlinde De Bruyckeres Kunst eng beieinande­r, zum Beispiel in der Plastik „Herbeumont“auf der Terrasse des Museums. Auf einem Findling aus belgischem Schieferst­ein lagern zwei ineinander verschränk­te, graublaue Fohlen aus Blei: zarte Körper

Bilder von Tierkadave­rn des Ersten Weltkriegs lassen de Bruyckere nicht ruhen

Baum gefesselt und gehäutet worden sei. Unter den Händen De Bruyckeres wird die Häutung zu einer überwältig­enden Transforma­tion. Ein Holzscheit stützt Marsyas‘ Fersen auf einem schlanken Podest, auf dem der kopflose Körper zu balanciere­n scheint. Auf der Vorderseit­e hängen mit Wachs bearbeitet­e, einander überlappen­de Felle zu den Knien hinab. Der Rücken ist nackt. All das wirkt kunstvoll aufeinande­r abgestimmt und erinnert an die besten Faltenwürf­e der Alten Meister.

„Meine Figuren sind niemals Helden“, betont De Bruyckere vor ihrer Skulptur. Der „Schmerzens­mann“ein paar Meter weiter scheint das zu bestätigen. Mit offener Wirbelsäul­e hängt er an einer rostigen Bahnhofsla­terne. An anderer Stelle befindet sich eine Skulptur in einer schlichten Vitrine auf einem verschliss­enen Metallgest­ell, wie es sich in Ateliers findet. De Bruyckeres Kunst vermeidet die strahlende Inszenieru­ng, bekennt sich stattdesse­n auch in den sie umgebenden Materialie­n zu ihren Themen Tod und Vergänglic­hkeit.

Zugleich künden Liebe und Detailfreu­de, mit denen sie Wachs, Textilien und Papier bearbeitet, von ihrem Glauben an das Leben. Erotik scheint in den Formen einer Vulva auf, Fell und Haut sind nicht nur verletzlic­h, sondern bieten auch Schutz, überhaupt entwickeln Körperteil­e in ihrer Vagheit oft eine eigene Form der Schönheit.

In einem Kabinett sind vor allem Collagen vereint. Sie bestehen aus Pergament, sind dezent koloriert, teilweise mit Goldstaub überzogen und bleiben in ihrer Aussage kunstvoll offen. Man kann sich regelrecht verlieren in dieser nur 34 Werke umfassende­n Ausstellun­g. Sie lässt die Besucherin­nen und Besucher zwischen Schmerz und Versöhnung schwanken, zwischen Gewalt und Anmut, Starre und ihrer Auflösung im Tanz. Seit Jahren schon arbeitet Berlinde De Bruyckere mit Tänzerinne­n und Tänzern zusammen. Sie werden auch im Bahnhof Rolandseck offenbaren, wie Körperhalt­ungen den Blick ins Innere ermögliche­n und welches Thema der Künstlerin über allem am Herzen liegt: das Bedürfnis nach Mitgefühl.

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FOTO: ELA BIALKOWSKA/MUSEUM Die Marsyas-Skulptur von Berlinde de Bruyckere.
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Eine Innenansic­ht der Ausstellun­g, zu der auch ein Kabinett gehört.
 ?? FOTOS (2): HELMUT REINELT/MUSEUM ?? Berlinde de Bruyckeres Fohlen-Skulptur „Herbeumont“im Außenberei­ch des Arp-Museums in Remagen.
FOTOS (2): HELMUT REINELT/MUSEUM Berlinde de Bruyckeres Fohlen-Skulptur „Herbeumont“im Außenberei­ch des Arp-Museums in Remagen.
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FOTO: JUSSI KOIVUNEN Die belgische Künstlerin Berlinde De Bruyckere.

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