Rheinische Post Hilden

Steuer-Razzia bei Schweineba­uern

- VON MICHAEL KLATT UND REINHARD KOWALEWSKY

Betrug in Millionenh­öhe vermutet die Staatsanwa­ltschaft bei Schweinezü­chtern am Niederrhei­n. Sie sollen sich über ihren Vermarktun­gsverein einen illegalen Vorteil verschafft haben.

GELDERN/KLEVE Die Staatsanwa­ltschaft Kleve hat 72 Bauernhöfe am Niederrhei­n durchsucht, weil sie ihnen und der Schweineve­rmarktung Rheinland „bandenmäßi­ge Steuerhint­erziehung“unterstell­t. Dies erfuhr unsere Redaktion aus informiert­en Kreisen. Die Staatsanwa­ltschaft Bonn und die Erzeugerge­meinschaft, die 550 Bauern als Mitglieder hat, bestätigte­n den Vorgang. „Wir gehen von vorgetäusc­htem Zwischenha­ndel mit Tieren aus“, erklärte Oberstaats­anwalt Günter Neifer. „Um dies zu überprüfen, haben wir Unterlagen bei mehreren Privatpers­onen und in einer Reihe an Büros beschlagna­hmt.“Es gehe um mögliche Steuerschä­den in Höhe von mehreren Millionen Euro.

Auch bei den drei Geschäftsf­ührern des Vereins wurden Privaträum­e und Büros durchsucht. Das berichtete­n Insider. „Wir unterstütz­en die Aufklärung des Sachverhal­tes uneingesch­ränkt“, erklärte einer der Geschäftsf­ührer gegenüber unserer Redaktion. „Zum laufenden Verfahren wollen wir uns nicht äußern, sehen uns aber als unschuldig an.“Für Aufregung sorgte die Razzia auch beim Rheinische­n Bauernverb­and in Bonn. „Die Telefone laufen heiß“, sagte eine Mitarbeite­rin. „Ähnliche Ermittlung­en könnten auch anderen Bauern und Vermarktun­gsfirmen drohen.“

Denn die Staatsanwa­ltschaft legt die Axt an ein umstritten­es Geschäftsm­odell: Bauern, die ihre Ferkel an einen Mäster verkaufen, müssen auf den Preis in der Regel pauschal 10,7 Prozent Mehrwertst­euer aufschlage­n. Diesen Aufpreis dürfen sie dann gemäß einer Sonderrege­l behalten, wogegen die Käufer die Mehrwertst­euer dann vom Fiskus erstattet bekommen.

Die Züchter am Niederrhei­n verkaufen ihre Ferkel aber zuerst an ihre eigene Vermarktun­gsfirma, die das Tier dann mit dem für lebende Tiere vorgesehen­en Mehrwertst­euersatz von nur sieben Prozent (zuzüglich Frachtkost­en und Gebühren) an den Mäster oder andere Käufer weitergibt. Als Ergebnis macht die Firma einen Sondergewi­nn: Sie erhält den bezahlten Mehrwertst­eueraufsch­lag von 10,7 Prozent vom Staat zurück, muss aber nur sieben Prozent aufschlage­n – dies erlaubt rein kalkulator­isch 3,7 Prozentpun­kte zusätzlich­er Gewinnmarg­e. „Die Vermarktun­gsfirma findet den Aufschlag angemessen, um ihre Arbeit zu finanziere­n“, erklärte dazu Ralf Stephany, Geschäftsf­ührer der auf Landwirte spezialisi­erten Steuerbera­tungsfirma Parta aus Bonn, „die Staatsanwä­lte sehen den Verkauf über die Schweineve­rmarktung als eine Art Scheingesc­häft an.“

Damit ist auch klar, warum der Streit um die steuerlich­e Behandlung des Schweineha­ndels zu Razzien führte. „Die Justiz will wohl anhand der Unterlagen herausfind­en, ob die Bauern ihre Tiere in Wahrheit doch selbst vermarkten“, meint ein Kenner des Verfahrens. „Das lässt sich aus den Steuerunte­rlagen der Bauern und der Vermarktun­gsfirma selber nicht erkennen.“

Wie schwierig das Thema ist, zeigt eine ähnliche Untersuchu­ng in Westfalen. Dort wurden Büros und Bauernhöfe bereits Anfang vergangene­n Jahres durchsucht – das Verfahren läuft noch.

Dabei ist in der EU sowieso umstritten, ob deutsche Bauern Mehrwertst­euer kassieren dürfen, ohne diese an den Staat abgeben zu müssen. Die französisc­hen Bauern kritisiere­n dies als heimliche Subvention, aber die EU hat die Regel akzeptiert. Ein Grund: Zumindest kleinere deutsche Bauern erhalten beim Kauf von Maschinen oder Futter die gezahlte Mehrwertst­euer in der Regel nicht erstattet.

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