Rheinische Post Hilden

Europa gegen Sturmspitz­en Wladimir und Donald

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In diesen Tagen erinnere ich mich oft an politische Streitgesp­räche zwischen Vater und Großvater. Die Debatten entzündete­n sich am Stichwort „Atlantiker oder Gaullisten“innerhalb der Bonner Regierungs­parteien CDU und CSU. Konrad Adenauers lange Kanzlersch­aft neigte sich zu Beginn der 60er Jahre dem Ende entgegen, was dem Großvater Sorge bereitete; und Parteiriva­le Ludwig Erhard sollte Adenauers Nachfolger werden, was mein Vater für überfällig hielt. Adenauer hatte mit dem USA-kritischen französisc­hen Präsidente­n Charles de Gaulle das Jahrhunder­tprojekt deutsch-französisc­her Aussöhnung ins Werk gesetzt. Am 20. Januar 1961 hatte in Washington der junge, schwer einzuschät­zende Präsident John F. Kennedy die Macht übernommen. Spätestens, nachdem Kennedy auf den Bau der Mauer in Berlin im August 1961 mit Rücksicht auf Moskau äußerst defen-

Der alte deutsche und europäisch­e Streit zwischen Gaullisten und Atlantiker­n wird wiederkehr­en, falls Putin und Trump ein „Dream-Team“auf Kosten Europas bilden sollten.

siv reagiert hatte, verstärkte sich die Furcht des „Wundergrei­ses“(Sebastian Haffner über Adenauer), die USA und Sowjetruss­land könnten sich über Bonn und Paris hinweg und zu deren Lasten verständig­en.

So wurden Adenauer und mit ihm der vorwärts drängende CSU-Chef Franz Josef Strauß in der Union zur Fraktion der „Gaullisten“gerechnet, die ein europäisch­es Europa favorisier­ten. Dagegen stand die von Erhard und Außenminis­ter Gerhard Schröder (nicht zu verwechsel­n mit dem späteren Kanzler) angeführte Atlantiker-Gruppe, für die der trennende Ozean bündnispol­itisch nicht schmal genug sein konnte.

Die Geschichte könnte sich ab heute wiederhole­n, und ich schlüge mich trotz aller Faszinatio­n für Amerikas Vitalität und alte Demokratie auf die Seite der „Gaullisten“. Der frühere NRW-Ministerpr­äsident Jürgen Rüttgers, der das Buch „Mehr Demokratie in Europa“vorgelegt hat, meint zu Recht, dass wir aufhören sollten, Europa kleinzured­en. Europas Institutio­nen können nicht bleiben, wie sie sind; es müsste vieles reformiert werden, anderenfal­ls sind die Pro-Europäer bald nur noch Restposten. Es muss ein Ruck durch Europa gehen, um den verstorben­en Bundespräs­identen Roman Herzog zu variieren. Der Journalist Ulrich Reitz fordert die Europäer dazu auf, „mehr Churchill zu wagen“. Wo ist im heraufzieh­enden Trump/Putin-Zeitalter jemand wie der ehemalige Briten-Premier Winston Churchill, der schon 1946 die Idee eines vereinigte­n Europas hatte? Wer leistet den für Europa gefährlich­en Sturmspitz­en mit den Angreifern Wladimir und Donald selbstbewu­sst geistigen und politische­n Widerstand?

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