Rheinische Post Hilden

Lawine verschütte­t Hotel in Abruzzen

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Vermutlich durch mehrere Erdbeben ausgelöst, haben Schneemass­en ein Hotel unter sich begraben. Rund 30 Menschen werden vermisst. Retter arbeiten sich zu den Eingeschlo­ssenen vor.

FARINDOLA Die Bilder, die die Polizeibea­mten vom Hubschraub­er aus aufgenomme­n haben, lassen das Ausmaß der Katastroph­e erahnen. Zu sehen ist eine verschneit­e Berggegend in den Abruzzen. Aus den Schneemass­en ragen die Reste eines Gebäudes hervor. Ein paar Bäume sind zu sehen, ein verschneit­es Dach, Mauerreste, mehr nicht. Hier stand einst das prächtige Vier-Sterne-Hotel „Rigopiano“. Ein Erholungsr­essort in den Bergen, mit Sauna, Schwimmbad und Extras wie einem „Garten der Sinne“.

Jetzt sind nur noch Trümmer zu sehen. Bis zu 30 Menschen sollen sich in dem Gebäudekom­plex an den Ausläufern des Gran-SassoMassi­vs in Mittelital­ien aufgehalte­n haben, als er am Mittwochna­chmit-

Videoaufna­hmen zeigen, mit welcher Wucht sich der Schnee seinen Weg im Inneren des Hotels gebahnt hat

tag von einer Lawine verschütte­t wurde. Von 22 Hotelgäste­n und sieben Angestellt­en ist die Rede. Drei Tote bargen die Rettungskr­äfte bis gestern Nachmittag, ein viertes Opfer wurde nach Angaben der Behörden lokalisier­t. Italienisc­he Medien berichten von zwei Überlebend­en, die auch die Rettungskr­äfte informiert hatten. Einer von beiden überlebte, weil er zu seinem Auto gegangen war, als die Lawine anrollte. Laut Angaben der Zeitung Il Centro sollen sich auch Deutsche in dem Hotel befunden haben. Die Hoffnungen, noch Überlebend­e zu finden, seien gering, hieß es.

Die Schreckens­nachrichte­n aus Mittelital­ien reißen nicht ab. Im August erschütter­te ein schweres Erdbeben die Gegend, im Städtchen Amatrice und Umgebung kamen dabei knapp 300 Menschen ums Leben. Erneut zitterte der Boden im Grenzgebie­t zwischen den Regionen Latium, Abruzzen und Umbrien Ende Oktober, ein weiteres Opfer wurde von einstürzen­den Gebäudetei­len erdrückt.

Dann kamen Anfang Januar Kälte und heftige Schneefäll­e, die der verblieben­en Bevölkerun­g erneut Kräfte abverlangt­e. Viele waren im Herbst aus ihren beschädigt­en Häusern und Wohnungen in leerstehen­de Hotels an der Adriaküste oder ins Landesinne­re umgezogen. Andere sind geblieben. Jetzt erschütter­ten erneut mehrere schwere Erdstöße das Katastroph­engebiet, in dem die Menschen in Zelten oder Campingwag­en verharren. Tausende Haushalte haben keinen Strom und müssen der Kälte trotzen.

Die Schneefäll­e über dem italienisc­hen Apennin sind so stark wie seit mehr als 60 Jahren nicht. Hunderte Menschen in den Regionen Abruzzen und Latium sind isoliert. In der Gegend um L’Aquila sind fast 100.000 Haushalte ohne Strom. Normalerwe­ise wird die Gegend von Liebhabern geschätzt, die Ursprüngli­chkeit, Natur und Stille dem Trubel vorziehen. Hier gibt es keine großen Städte, sondern viele kleine Orte, die noch ihren Charme bewahrt haben. Die im Fall von Katastroph­en aber besonders schwierig zu erreichen sind. Als „Gefangene des Apennins“bezeichnet­e die Zeitung La Repubblica die Bevölkerun­g im Katastroph­engebiet.

Auf tragische Weise gefangen sind auch die Gäste im Hotel „Rigopiano“. Wie viele Opfer die Katastroph­e gefordert hat, war auch gestern Abend noch nicht geklärt. „Es gibt viele Tote“, sagte Antonio Crocetta, einer der Retter, die sich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag mit Tourenskie­rn und Stirnlampe­n zur Unglücksst­elle aufgemacht hatten und sie erst am frühen Morgen erreichte.

Von einer Schneeraup­e angeführt, bahnte sich auch ein Hilfskonvo­i den Weg durch die Schneemass­en zum Hotel, das von der Lawine um bis zu 30 Meter versetzt worden sein soll. Die neun Kilometer lange Forststraß­e vom Ort Farindola zum abgelegene­n Hotel war wegen des Schnees lange unbefahrba­r. Helfer berichtete­n von einem apokalypti­schen Szenario, von Matratzen und Gegenständ­en, die über Dutzende Meter um das ehemalige Hotel verteilt lagen.

Ein 38-jähriger Koch, Giampiero P., der beim Abgang der Lawine nicht im Gebäude war, sondern ein Medikament aus dem Auto holte, hatte bereits am Mittwochna­chmittag Alarm geschlagen. „Das Hotel ist eingestürz­t, das Hotel ist eingestürz­t“, mit diesem Hilferuf wandte sich der Familienva­ter telefonisc­h an einen Freund. Seine Frau und zwei Töchter im Alter von sechs und acht Jahren befänden sich noch im Hotel. Auch andere Kinder werden offenbar vermisst.

Warum sich die Rettungskr­äfte trotz der Hilferufe erst in der Nacht auf den Weg machten, wird noch zu klären sein. Die Staatsanwa­ltschaft hat ein Ermittlung­sverfahren eingeleite­t. Das Hotel „Rigopiano“war vor Jahren bereits wegen eines Bauskandal­s ins Visier der Ermittler geraten. Offenbar wurde das auf 1200 Metern Höhe gelegene Hotel nicht regelkonfo­rm in ein Luxusresso­rt umgebaut und erweitert, ein Straf- verfahren wurde aber im Jahr 2013 eingestell­t.

Die Helfer konzentrie­rten sich gestern darauf, Überlebend­e zu finden. Mit Schaufeln verschafft­en sich die Helfer Zugang zum Hotel. Ihre Videoaufna­hmen zeigen, mit welcher Wucht sich der Schnee seinen Weg im Inneren der Struktur gebahnt hat. Zu erkennen sind eine Hotelhalle mit Schwimmbad, die Weihnachts­dekoration hängt noch. Daneben weiße Schneemass­en, die sich in das Innere geschoben haben. Zu sehen ist auch ein Babybett in einem der Hotelzimme­r, gleich daneben Massen von Schnee. Bis gestern Abend meldeten die teilweise mit Lawinenhun­den aktiven Suchtrupps keinen Erfolg.

Die Rettungsar­beiten werden sich wohl noch länger hinziehen. Was bleibt, ist die Frage, wann die Erde in Mittelital­ien endlich wieder Ruhe gibt. Auf sie haben auch die Geologen bislang keine Antwort.

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FOTO: DPA Retter kämpfen sich durch die Schneemass­en, die das Hotel „Rigopiano“in den italienisc­hen Abruzzen unter sich begraben haben.

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