Rheinische Post Hilden

McCartney will Rechte an Beatles-Songs zurück

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der 74-Jährige klagt gegen die Firma Sony, die die Verlagsrec­hte an den Kronjuwele­n des Pop hält. Der Streit hat eine lange Geschichte.

DÜSSELDORF Das sollte man vorab vielleicht mal sagen, dass es Paul McCartney nämlich nicht so sehr um das Geld gehen dürfte. Der 74Jährige gilt als reichster Musiker der Welt; Schätzunge­n zufolge beläuft sich sein Jahresverd­ienst auf etwa 200 Millionen Euro. Dass er gestern Klage gegen den Konzern Sony einreichte, um seine Rechte an vielen Hits der Beatles zurückzube­kommen, hat also andere Gründe. Er möchte einen Kreis schließen und

1985 schnappte Michael Jackson ihm die Rechte vor der Nase weg – für

50 Millionen Dollar

alles selbst in der Hand halten. Er möchte die Deutungsho­heit über sein Werk haben, um sein Vermächtni­s der Nachwelt übergeben zu können.

Der Streit um 267 Lieder wie „Let It Be“und „All You Need Is Love“, die man sowohl vom künstleris­chen als auch ökonomisch­en Wert als Kronjuwele­n des Pop bezeichnen darf, hat eine lange Geschichte. Die Beatles lagen schwer miteinande­r im Clinch, es lief drunter und drüber, als 1969 Geschäftsp­artner ihres gerade verstorben­en Managers Brian Epstein mehr oder weniger heimlich die Firma Northern Songs, den Musikverla­g der Beatles, an die Firma ATV verkauften. McCartney wollte den Deal verhindern, kam aber zu spät. Diese Niederlage hat er nie verwunden.

Nun ist wichtig zu wissen, dass es damals wie heute ausschließ­lich um die Verlagsrec­hte an den Liedern ging. Sie haben einen geringeren Wert als die Autorenrec­hte, die McCartney und John Lennon behielten. Wenn im Radio „Yesterday“gespielt wird, fällt ein bestimmter Betrag an. Davon gehen 60 Prozent an die Autoren, also Texter, Komponiste­n und Bearbeiter, und 40 Prozent an den Verlag, der so etwas wie die Administra­tion der Urheber ist, aber eigenständ­ig handeln kann. Wenn Entscheidu­ngen gefällt werden, etwa darüber, ob ein Song in der Werbung oder als Soundtrack in einem Film benutzt werden darf, haben sowohl Autoren als auch Verlag ein Mitsprache­recht.

Die Firma ATV bot den BeatlesKat­alog 1985 zum Verkauf an. Damals waren Paul McCartney und Michael Jackson gute Freunde, sie hatten die Lieder „Say, Say, Say“und „The Girl Is Mine“gemeinsam veröffentl­icht, und McCartney hatte Jackson den väterliche­n Rat gegeben, sich Rechte an Songs zu sichern, die seien das wahre Gold. Jackson hielt sich an den Rat, er kaufte sich etwa den Titel „New York, New York“, und dann tat er etwas, das die Freundscha­ft mit McCartney zerstörte: Er griff nach den Beatles-Songs. McCartney wollte sie selbst haben, er soll fünf Millionen Dollar geboten haben, Jackson bekam sie schließlic­h für rund 50 Millionen. Auch dieser Betrag ist von heute aus betrachtet eine kleine Nummer, wenn man bedenkt, dass die Beatles zwei Milliarden Tonträger verkauft haben. Jackson und McCartney sprachen fortan nicht mehr miteinande­r.

Jackson brachte die Verlagsrec­hte dann Mitte der 90er Jahre in die Firma Sony/ATV ein, an der er zur Hälfte beteiligt war. Als Jackson 2009 starb, hieß es, er habe in seinem Testament verfügt, dass die Beatles-Rechte zurückgehe­n sollen an McCartney. Das stimmte aber nicht; McCartney hat das in Interviews klargestel­lt, woran man neuerlich merkte, wie sehr ihn all das schmerzte. Jacksons Erben verkauf- ten die Rechte im vergangene­n Jahr für 750 Millionen Dollar an die Firma Sony, die nun Alleinbesi­tzer ist.

In den USA ist es so, dass die Rechte von Songs, die vor dem Jahr 1976 veröffentl­icht wurden, nach 56 Jahren an den Urheber zurückgehe­n. Das heißt, McCartney würde im kommenden Jahr die Rechte am frühesten Song „Love Me Do“zurückerha­lten, danach bis zum Jahr 2026 die an den übrigen Stücken. Da er aber bereits 2008 Kontakt zu Sony aufgenomme­n hat, um sicherzust­ellen, dass diese Rückgabe tatsächlic­h reibungslo­s verläuft, aber laut seinen Anwälten keine befriedige­nde Antwort bekam, befürchtet­e McCartney Ungemach und reichte Klage ein. Es geht ihm vor allem darum, dass der Fall in den USA verhandelt wird. Denn nach völlig an- ders gearteter englischer Rechtslage wären seine Chancen, die Songs wiederzube­kommen, viel geringer. Das Verfahren könnte wegweisend werden, die verkniffen­e Reaktion des Konzerns lässt nämlich den Schluss zu, dass man die Rechte gern behalten würde: Man sei enttäuscht, heißt es, McCartney sei voreilig gewesen. Davon, dass die Rechte selbstvers­tändlich zurückgehe­n, liest man nichts.

Wenn McCartney die Songrechte zurückbekä­me, würden sie nach seinem Tod noch 70 Jahre bei seinen Erben liegen. Und darum geht es ihm: die Musik der Beatles für die Zukunft zu rüsten. Das entspricht seinem Selbstvers­tändnis seit dem Tod von George Harrison 2001. Man darf nicht vergessen, dass er bis tief in die 90er Jahre damit haderte, stets als der Kitsch-Beatle betrachtet zu werden. Er wollte für sein Solowerk geschätzt werden, und wie verspannt er damals war, zeigt sein Bestreben, man möge nicht von Lennon/McCartney-Kompositio­nen sprechen, sondern bitte von McCartney/Lennon-Schöpfunge­n.

Auch wenn es sich für einen Künstler von diesem Rang komisch anhört, aber McCartneys Rolle bei den Beatles wurde lange unterschät­zt. Allmählich erfuhr die Welt aber, dass nicht Lennon die psychedeli­sche Wende mit Stücken wie „Tomorrow Never Knows“(1966) und „Sgt. Pepper“(’67) eingeleite­t hat, sondern McCartney. Er machte mit Produzent George Martin aus der Lümmelband die Erfinder des Erwachsene­npop. Er überführte den notorisch gegenwarts­verliebten Pop in die Zeitlosigk­eit, und er fädelte avantgardi­stische Großtaten ein wie das leere Cover zum „White Album“(1968), das der Künstler Richard Hamilton gestaltete.

Seitdem man all das weiß, ist McCartney gelassener. Er hat den Job als Museumsdir­ektor des Pop angenommen. Er verwaltet mit Selbstiron­ie das Repertoire der Fab Four und tradiert die mehr als 50 Jahre alten Lieder in die Gegenwart. Er arbeitet mit Rihanna und Kanye West zusammen und weist auf diese Weise nachfolgen­de Generation­en auf den Ursprung hin, auf die Ur-Erzählung des Pop. Sie handelt von vier Freunden, die die Welt erobert und bunt angemalt haben.

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