ANDRÉ WÜSTNER „Wir brauchen acht Milliarden Euro mehr für die Truppe“
Der Chef des Bundeswehrverbands warnt vor einer andauernden Überforderung der „kleinsten Bundeswehr mit den meisten Aufträgen“.
Herr Wüstner, wie ist die aktuelle Situation der deutschen Soldaten? WÜSTNER Die Soldaten befinden sich gerade definitiv in einer großen Überlastung. Die Bundeswehr beginnt gerade erst, sich an die neuen Aufgaben und Anforderungen anzupassen. Bis 1990 stand Landes- und Bündnisverteidigung im Fokus, die wurde abgelöst durch Krisen- und Konfliktmanagement. Seit dem Nato-Gipfel in Wales im Jahr 2014 geht es erstmals um beides, mit einer 360-Grad-Abdeckung. Deswegen sind nun beschleunigte Trendwenden beim Personal, beim Material und beim Haushalt unausweichlich. Das Verteidigungsministerium will bis 2024 die Zahl der Soldaten auf 198.000 erhöhen – ist das richtig? WÜSTNER Die Entscheidung war überfällig und entspricht weitestgehend unserer Forderung. Wir haben die kleinste Bundeswehr aller Zeiten mit der größten Anzahl an Aufträgen aller Zeiten. Das funktioniert nicht mehr. Schon jetzt raten vereinzelt Soldaten ihren Freunden davon ab, zur Truppe zu kommen, aufgrund latenter Burnout-Gefahr. Wie viel Geld braucht die Truppe? WÜSTNER Wir müssen schon den nächsten Verteidigungsetat 2018 von derzeit 37 auf 40 Milliarden er- höhen, um die dringend notwendigen Beschaffungsvorhaben auf den Weg bringen zu können. Und in weiteren Stufen ist es unerlässlich, bis zum Ende der nächsten Wahlperiode im Jahr 2021 auf mindestens 45 Milliarden zu kommen. Das wäre die Anschubfinanzierung, um die politisch vorgegebenen Fähigkeiten auch in der Wirklichkeit abzubilden. Es geht auf Dauer nicht gut, wenn zum Beispiel eine Panzerdivision nur 40 Prozent ihres Gerätes tatsächlich zur Verfügung hat. Politiker warnen vor „Aufrüstung“. WÜSTNER Die Politik sollte keinen Wahlkampf auf dem Rücken unserer Sicherheit oder unserer Soldaten führen. Es ist doch keine „Aufrüstung“, wenn nur die größten Lücken gefüllt werden, nur das Material beschafft wird, das mit Blick auf aktuelle Bedrohungsszenarien und unsere Verantwortung im Bündnis längst da sein sollte. Die Bundeswehr muss aus dem Teufelskreis heraus, dass das Gerät, weil zu wenig davon da ist, übermäßig genutzt und damit verschlissen wird. So fährt man die Bundeswehr auf null. Woran fehlt es am meisten? WÜSTNER Es fehlt, wo auch immer Sie hinschauen. Es fehlt an ausreichend einsatzbereiten Hubschraubern und Flugzeugen. Oder nehmen Sie die zu geringen Munitions- und Ersatzteilbestände. Materiell sind wir auf einem unverantwortlich niedrigen Level, nur bedingt einsatzbereit. Wie wichtig ist die Cyberabwehr? WÜSTNER Es war eine der wesentli- chen Entscheidungen von Ministerin von der Leyen, die Cyberabwehr auszubauen. Die Bedrohungen werden leider zunehmen. Geschützte IT-Technik und IT-Fachleute sind teuer. Auch dafür wird mehr Geld nötig sein. Insgesamt brauchen wir mehr sicherheitspolitisches Verständnis sowie den Willen zur schnellstmöglichen Stabilisierung unserer Sicherheitsarchitektur. In der Finanzkrise hat man innerhalb von Monaten Milliarden verschoben und Regelungen angepasst – die Sicherheit und Stabilität unseres Kontinents ist nicht minder wichtig.