Geheime Gärten rund um den Eiffelturm
Paris hat sich ein ambitioniertes Begrünungsprogramm verordnet. Da werden ehemalige Bahndämme bepflanzt, ebenso Straßen, Dächer, Fassaden und Hinterhöfe. Touristen finden Orte der Ruhe.
PARIS (dpa) Mitten auf der Seine unweit der Champs-Élysées betritt der Paris-Besucher über einen Steg eines der ungewöhnlichsten Gartenprojekte der letzten Zeit in der französischen Hauptstadt: die schwimmenden Gärten (Les jardins flottants), benannt nach der 2002 verstorbenen Künstlerin Niki de SaintPhalle. Es ist nur einer von vielen Gärten, die Urlaubern in Paris Ruhe bieten.
In vier riesigen, mit Erde gefüllten Stahlbehältern wachsen ausschließlich einheimische Bäume, Büsche und Blumen. Eine Entenfamilie watschelt an den elegant geschwungenen Sonnenliegen entlang. Das Naturidyll kommt leicht ins Schwanken, als ein Ausflugsboot vorbeifährt. Der Blick geht über die Gräser, zum Eiffelturm. Die Stadt wirkt fern und nah zugleich.
Spaziert man am Seineufer weiter, stößt man auf eine hohe, teils farbige Glaswand. Sie schirmt den Garten vom Musée du quai Branly, dem Museum für außereuropäische Kunst und vom tosenden Verkehr ab. Und schon wieder hat der Besucher einen stillen Ort in dieser hektischen Stadt gefunden – in dem zwei Hektar großen Museumsgarten. Hügelig erstreckt er sich auf verschiedenen Ebenen.
Farn- und Bambusbeete wechseln sich hier ab. Gräser und Stauden schmiegen sich unter Bäumen, daneben liegt ein Teich mit Schilf. An der Fassade des Verwaltungsgebäudes findet sich außerdem ein vertikaler Garten. An der begrünten Wand wachsen die Pflanzen üppig über mehrere Etagen in Richtung Himmel. Denn inzwischen fördert die Stadt Paris intensiv die Begrünung von Fassaden und Dächern.
Völlig versteckt im Marais-Viertel liegt der Jardin Anne-Frank, der in drei Teile gegliedert ist. Der Besucher betritt zuerst einen modern gestalteten Garten. Sogleich steht er vor einer Weißen Rosskastanie und ist emotional tief berührt: „Es handelt sich um einen originalen Ableger des Baumes, den Anne Frank in ihrem berühmten Tagebuch als Trostspender beschreibt“, sagt Pascal Bonneau von der Pariser Stadtverwaltung. Ein Baum der Hoffnung. Das jüdische Mädchen Anne Frank wurde von den Nationalsozialisten in Bergen-Belsen ermordet.
Hinter Mauern öffnet sich der zweite Teil des Gartens, ursprünglich der Park des Stadtpalais SaintAignan. „Dieser Gartenteil möchte an den klassischen französischen Stil erinnern“, sagt Bonneau. Der mit Rosen bewachsene Laubengang ist typisch dafür und sieht aus wie aus dem 17. Jahrhundert. In der dritten Parzelle spielen Kinder unter Obstbäumen neben Gemeinschaftsbeeten, eine Mini-Idylle inmitten von Hinterhöfen. Der Teil spiegelt die Sehnsucht der Franzosen nach einem Garten auf dem Lande wider und ist Teil der UrbanGardening-Bewegung, der Rückkehr der Gärten in die Stadt.
Nicht allzu weit entfernt, direkt vor dem spektakulären Neubau des Einkaufs- und Freizeitzentrums Les Halles, entsteht das jüngste Parkprojekt von Paris: der Jardin Nelson-Mandela, eher ein begrünter Platz als ein wirklicher Garten. Ein Band aus Betonstufen umrahmt Wiesenflächen mit Gehölzen. Die Menschen sitzen dort, ruhen sich aus und beobachten andere, die durch die Grünanlage eilen. Die weltberühmten Namensgeber der neuen Pariser Parks haben – wie auch in diesem Fall – meist keinen direkten Bezug zum Ort.
Das gilt auch für den Parc ClichyBatignolles – Martin-Luther-King, eine der modernsten Gartenanlagen in Paris. Auf einem stillgelegten Bahngelände wächst ein neues Stadtquartier mit der größten Grünfläche im Nordwesten der Stadt. Am Ende werden es zehn Hektar sein. Im jetzt schon begehbaren Teil drehen Jogger ihre Runden. Hügel und Wiesen, Schatten spendende Bäume, ein Wasserbassin mit Schilfpflanzen – der Park scheint naturnah und geordnet zugleich.
Um in tatsächlich wild gewachsenes Grün abzutauchen, nehmen Urlauber in Paris eine Treppe abwärts, und zwar nahe der Porte de Versailles. Dort geht es hinab zu der ehemaligen Eisenbahntrasse Petite Ceinture. Dieser „kleine Gürtel“um Paris wurde 1934 stillgelegt. Seitdem haben wilde Pflanzen das Terrain überwuchert: Feldahorn, Weißdorn, Heckenrosen. Vögel brüten im Gebüsch.
Das Stadtbiotop mit großer Biodiversität wird seit 2006 nach und nach für Fußgänger zugänglich gemacht. Auch Wildtiere bewegen sich auf der 32 Kilometer langen Strecke durch die Stadt. Paris will noch mehr dieser ökologischen Korridore schaffen. Der Begrünungsplan der Stadtregierung sieht vor, bis zum Jahr 2020 zusätzlich 20.000 Bäume zu pflanzen und weitere 30 Hektar an Grünflächen zu schaffen.
Fast noch ungewöhnlicher ist es, nicht in der Tiefe, sondern in der Höhe durch die Stadt zu spazieren. Auf einem alten Viadukt aus Backstein im Südwesten schlängelt sich ein begrünter Fußweg: die Coulée verte René-Dumont. Mehrere Meter über der Straße gedeihen hier Gehölze, Hecken und Blumen. Wo bis 1969 noch eine Bahn fuhr, ist heute ein Hochweg, über den sich das 12. Arrondissement entspannt durchwandern lässt, ohne dass man eine Straße überqueren müsste. Der 4,7 Kilometer lange Garten bietet sozusagen Pflanzen mit Aussicht.
Hier fällt der Blick auf eine Stadt, die es mit der Begrünung ernst meint. Diese Seite von Paris wächst, im wahrsten Sinne, und sie will entdeckt werden.
In der dritten Parzelle spielen Kinder unter Obstbäumen neben Gemeinschaftsbeeten