Rheinische Post Hilden

Schlicht und ergreifend

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Die Sportfreun­de Stiller traten im Zakk auf. Sie machen seit 21 Jahren Indie-Pop, der albern ist, aber zu Herzen geht. Eine Würdigung.

Wer behauptet, Peter Brugger habe eine Singstimme, die nur eine Mutter lieben kann, liegt gleich auf zweierlei Art falsch: Diese Frechheit ist nicht nur schamlos übertriebe­n (da sind ja all die Fans!), sondern zugleich verharmlos­end. Tatsächlic­h hat nämlich selbst seine eigene Mutter schon versucht, den Frontmann der Sportfreun­de Stiller zum Aufhören zu überreden: „Das mit dem Musizieren sei ja okay“, habe sie einmal gesagt, „aber ob ich das Singen nicht lassen könne?“

Dass er die Töne längst deutlich besser trifft als anfangs, ist nur eines von vielen Zeichen der Profession­alisierung. 21 Jahre nach ihrer Gründung hat die einstige IndierockB­and sieben Studioalbe­n und ein MTV-Unplugged-Konzert eingespiel­t, 2,5 Millionen CDs verkauft, bald steht das 1000. Konzert an.

Zu ihren offensicht­lichen Schwächen – schräge Stimme, simple Melodien, Texte von überschaub­arem Tiefsinn – stehen die Sportfreun­de mit Koketterie, aber auch so etwas wie echter Demut. Dankbar ist diese Rolle, diese Nische obendrein: Nur zu gern geben die routiniert­en Profis die Zweitligis­ten, die mit Energie und Willen auftrumpfe­n, im Selbstport­rät „Zweite Wahl“heißt es: „Wir können auch nicht singen, haben wir auch nie gesagt / Niemals hat uns wer geprüft, wie fähig wir denn sind / und dass wir ins Studio Polen holen, weiß doch jedes Kind.“

Fast beängstige­nd eingängig besingen Brugger, Bassist Rüdiger „Rüde“Linhof und Drummer Florian „Flo“Weber die Liebe in allen Formen: zum Partner und zum Leben, zu Familie und Freunden, zum Fairplay und eben zum Sport (Fuß- ball vor allem, aber auch Hockey, Wellenreit­en und Tischtenni­s). Gut gemeint ist das alles – aber manchmal trotzdem das Gegenteil von gut. Wenn die „Sportis“übermütig werden, steigt die Kitsch- und Pathosquot­e steil, ihr Hang zu antiquiert­em Vokabular und Zweckreime­n schlägt durch. Dann klingen sie kindisch statt im besten Sinne kindlich.

Von Literatur sind auch die gelungenen Lieder weit entfernt, aber erstens sind sie auch nicht als Literatur gedacht, sondern zum gemeinsam Herausschm­ettern, und zweitens vermitteln sie nie gefährlich falsche Ideale. Geschmacht­et wird ohne Ende, ja, aber nie wird die wurstige Selbstaufg­abe gefeiert wie bei Philipp Dittberner („Lieber Wolke vier mit Dir als unten wieder ganz allein“) oder Revolverhe­ld („Ich würde meine Lieblingsp­latten sofort für dich verbrennen“).

Vor allem live entfalten diese Songs ihre Wirkung, wie zuletzt am Montagaben­d im Zakk zu spüren war. Mit Inbrunst sangen hunderte vor allem die alten Hymnen auf den Sommer, die Jugend und die Freundscha­ft, und bei „Ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist!“waren Ehepartner und Freundinne­n gemeint, aber auch beste Kumpels, Zwillingss­chwestern, Mama und Papa. Wärme und Dankbarkei­t, Empathie und Optimismus fluteten den Raum.

Uncool finden das natürlich die selbsterna­nnten coolen Kids, keine Eklats und Exzesse, nirgends. Doch all das Einrennen offener Türen, die Lästereien über das Finden von Seelenverw­andten, Händchenha­lten und Blümchense­x riechen nach mühsam unterdrück­tem Neid.

Die unerträgli­che Nettigkeit des Seins dieser Gruppe ist ja unbestrit- ten: „Mit seinem Lächeln kann man Bio-Obst bewerben“, schreiben Journalist­en zurecht über Brugger, oder dass die Sportfreun­de Stiller „keine Band, sondern ein Wellnessho­tel“seien. Das RP-Urteil zum zweiten Album lautete 2002: „ebenso belang- wie zeitlos schön“.

Die Sportfreun­de Stiller sind der Inbegriff der jungenhaft­en Nettigkeit, ihr Indie-Rock-Elektropop steht für das Richtige wie Pfadfinder oder Messdiener oder Anrufe bei der Oma. Wie Lego, als Lego-Raumschiff­e noch von lächelnden, friedliche­n Astronaute­n mit Autolenkrä­dern gesteuert wurden statt von grimmigen „Star Wars“-Kämpfern mittels der ominösen „Macht“. Pädagogisc­h wertvoll eben. Sie sind wie AnnenMayKa­ntereit, nur ohne Reibeisens­timme und fröhlicher. Das mag man furchtbar spießig finden, grundfalsc­h kann es nicht sein.

Die Musik dieser Gutband ist schlicht und ergreifend schlicht, aber ergreifend. Für manche Machwerke aus ihrer Feder schämen sie sich durchaus. „Natürlich schüttelt man da im Nachhinein schonmal den Kopf“, gibt Schlagzeug­er Florian Weber im RP-Interview zu.

Auch abseits der Bühne sagen und tun die drei einfach die richtigen Dinge. Nennen die Fifa einen „korrupten Drecksvere­in“. Engagieren sich gegen Rechts („Antinazibu­nd“) und spielen Dankeskonz­erte für Flüchtling­shelfer. Zur Kritik daran sagt Weber: „Minderheit­en gegeneinan­der auszuspiel­en, ist das Letzte. Was wäre denn aus Sicht dieser Leute das richtige Vorgehen? Überhaupt nicht helfen, niemandem?“

Für Obdachlose, auf deren Kosten die Flüchtling­shilfe ja angeblich gehen soll, obwohl keine Zahlen da- rauf hindeuten, setzen sich die Sportfreun­de übrigens auch ein. Kritik am sozialen Engagement von Prominente­n, weil das stets auch einen PR-Effekt habe, nennt Weber wohlfeil: „Wenn dabei Millionen Euro für Hilfsproje­kte rumkommen, dann verdammt noch mal rein mit Bono in jedes Rampenlich­t, das sich irgendwo auftut.“

Sie selbst standen im Sommer 2006 im grellsten Rampenlich­t, als sie mit der Nationalel­f vor 100.000 Fans Platz drei bei der Fußball-WM im eigenen Land feierten, zum Soundtrack ihres Überraschu­ngsMitgröl­hits „’54, ‘74, ‘90, 2006“.

Danach kam, wie Brugger selbst sagt, eine „Rechtferti­gungsplatt­e“samt Tour, bei der viele Plätze leer blieben. Im Nachhinein sei er dankbar dafür, sagt der Frontmann: So ein Tief sei „eine total wichtige Erfahrung“. Diesem Mann, dieser Band kommt man einfach nicht bei.

Was daran liegen könnte, dass sie einfach recht haben.

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FOTO: LABEL Pädagogisc­h wertvoll: die Sportfreun­de Stiller.

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