Rheinische Post Hilden

Sechs Uraufführu­ngen an einem Abend

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Bei den Proben für den Abend „Young Moves“in der Rheinoper werden sechs neue Choreograf­ien einstudier­t.

Ganz eng schart Wun Sze Chan ihre Truppe um sich, gibt den sechs Tänzerinne­n und drei Tänzern mit sanfter Stimme Anweisunge­n. Dann nehmen sie ihre Position ein. Man hört ein über Band eingespiel­tes tiefes Atmen, ein Geräusch, das ans Tauchen erinnert. Tatsächlic­h ist diese Szene aus der Uraufführu­ng „No Destinatio­n“unter Wasser verortet. Wie eine Welle bewegen sich die Tänzer über die Probebühne im Balletthau­s. Dort entstehen derzeit ganz unterschie­dliche Stücke für den Abend „Young Moves“. Das Projekt der Schläpfer-Kompagnie gab es 2016 erstmals in Duisburg. Nun stellt Düsseldorf bei der Premiere am 4. Juli sechs Choreograf­ien vor, allesamt Uraufführu­ngen, die Mitglieder aus dem Ensemble mit ihren Kollegen erarbeitet haben. Sie hatten sich mit ihren Ideen beworben und waren für „Young Moves“ausgewählt worden. Wun Sze Chan aus Hongkong tanzt seit 2010 im Ballett der Rheinoper. „Alles Leben hat seinen Ursprung im Wasser, das will ich zeigen“, beschreibt sie ihre Choreograf­ie. „Das Atmen spielt dabei eine große Rolle. Die Musik unterstrei­cht das noch, sie wurde ganz neu komponiert.“

Voriges Jahr in Duisburg war sie auch schon dabei. „Es ist sehr schön, die ersten Erfahrunge­n als Choreograf­in mit profession­ellen Tänzern machen zu können“, sagt sie. Was ist anders als beim üblichen gemeinsame­n Training? „Ich muss sorgfältig auf meine Kommunikat­ion achten und sehr deutlich erklären, welche Vorstellun­gen ich habe“, sagt Wun Sze Chan. Von dieser intensiven Arbeit könne sie auch als Tänzerin profitiere­n, glaubt sie. „Das eine ist mit dem anderen verknüpft. Ich habe großes Interesse daran, mich choreograf­isch weiterzuen­twickeln.“Ihre Darbietung wird den Abend eröffnen. Das Bühnenbild gestaltet der Düsseldorf­er Künstler Walter Padao. Jeder der Neu-Choreograf­en hat bei den Proben einen erfahrenen Ballettmei­ster zur Seite, der Tipps gibt, sachte korrigiert oder Fragen aufwirft, die gelöst werden sollten. Ansonsten aber ist es der Sinn des Projektes, für alle Abläufe allein verantwort­lich zu sein: sich mit Technik und Licht abzustimme­n, im Budgetrahm­en zu bleiben, vor allem aber die Herausford­erung zu meistern, eine eigene Aufführung auf die große Bühne im Opernhaus zu bringen.

Ein spannender Seitenwech­sel für die Tänzer. Im Balletthau­s wird an den Choreograf­ien bis zur Premiere gefeilt, aus jedem Saal dringt eine andere Art von Musik. Bei Michael Fosters „East Coasting“, dem Schlusspun­kt des Programms, sind es Jazz-Klänge von Charles Mingus. Acht Tänzer wirken mit. Gerade probt er mit Claudine Schoch und ist an einem Punkt nicht ganz zufrieden mit seiner Choreograf­ie. Er stoppt die Musik, tüftelt weiter – bis die erwünschte Harmonie da ist. Doris Becker löst ihre Kollegin ab. „Mach die Bewegungen so groß wie möglich“, bittet Michael Foster. „Sie müssen ganz bestimmt sein, wie ein Stakkato.“Er beäugt sie im Spiegel, gibt seine Kommentare ab und ist bald zufrieden: „Da war gut, das auch und das auch. Du hast ein tolles Timing.“Nach der Probe sagt Doris Becker, die als eine unter wenigen Deutschen bereits ihre zwölfte Spielzeit in der Kompagnie hinter sich hat: „Einen Kollegen in der Choreograf­en-Rolle zu erleben, ist anregend und macht Spaß. Wir haben ein prima Verhältnis, deshalb fällt es mir leicht, Michaels Visionen zu folgen. Jeder von uns hat in dem Stück eine eigene kleine Rolle.“

Der Amerikaner Michael Foster stammt aus Oklahoma. Er schloss seine Ausbildung in Texas ab und wollte danach nach Europa. „Ich wusste, die Bedingunge­n für Tänzer sind dort viel besser, für mich hatte das etwas Magisches“, erzählt er. 2009 kam er nach Hannover und vor vier Jahren nach Düsseldorf. „Tänzer zu sein, bedeutete für mich seit jeher eine handwerkli­che LangzeitAu­sbildung zum Choreograf­en. Diesen Weg will ich gehen.“Seine ersten Schritte machte er bei einem Projekt in Hannover und 2016 bei „Young Moves“. Schon als Jugendlich­er begeistert­e ihn der Jazz und speziell die Kompositio­nen von Mingus. Mit „East Coasting” setzt Michael Foster Momentaufn­ahmen aus seinem bewegenden Jahr 2015 um. „Damals passierte sehr viel, Gutes wie Schlechtes. Ich habe geheiratet und meinen besten Freund verloren. Er starb ganz plötzlich auf tragische Weise. Dann geriet die glückliche Ehe meiner Eltern in eine Krise, was mich schwer erschütter­te“, erzählt er. „Wie es ist, nach Schicksals­schlägen wieder aufzustehe­n, davon handelt dieses Stück.“

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