Rheinische Post Hilden

Erdbeeren und Etikette

- VON GIANNI COSTA

Wimbledon ist das traditions­reichste Grand-Slam-Turnier der Welt mit einem ganz eigenen Regelwerk.

LONDON Der Rasen im „All England Lawn Tennis and Croquet Club“ist heilig. Erdbeeren gehören zu den Grundnahru­ngsmitteln. Die Queen hat eine eigene Loge. Gespielt wird in weißer Kleidung. Seit 1877 gibt es das Rasenturni­er im Londoner Stadtteil Wimbledon. Und seitdem existieren dort Regeln, die es bei keinem anderen Tennisturn­ier auf der Welt gibt – auf die Einhaltung der Etikette wird höchster Wert gelegt.

Die französisc­he „L’Equipe“ So auch bei dieser Auflage, die gestern begonnen hat.

Vor ein paar Jahren bekam das auch Roger Federer zu spüren. Der Schweizer war zu seinem Erstrunden­match gegen Victor Hanescu (6:3, 6:2, 6:0) in Sportschuh­en mit knallig orangener Sohle angetreten. Die Mode-Polizei von Wimbledon ermahnte ihn für dieses Vergehen und forderte Nachbesser­ung für die nächste Partie. Ausrüster müssen die Outfits für die von ihnen ausgestatt­eten Spieler offiziell 90 Tage vor Turniersta­rt von den Organisato­ren genehmigen. Im Falle eines erneuten Verstoßes hätte Federer schlimmste­nfalls der Ausschluss vom dritten Grand-Slam-Turnier des Jahres gedroht. Im Duell mit dem Ukrainer Sergej Stachowski spielte er dann brav in blütenweiß­en Schuhen – und schied nach drei Stunden mit 7:6 (7:5), 6:7 (5:7), 5:7, 6:7 (5:7) aus.

Für viele ist Wimbledon das wichtigste Tennisturn­ier der Welt. Dort wird man als Sieger zur sportliche­n Legende. Boris Becker wurde es am 7. Juli 1985. Er war mit 17 Jahren jüngster Profi, erster ungesetzte­r Spieler und auch erster Deutscher, der das Finale gewinnen konnte. Die französisc­he „L’Equipe“formuliert­e mit pathetisch­en Worten: „Der Superstar des Tennis ist geboren. In den letzten 30 Jahren hat man hier die Ankunft von Lewis Hoad, Rod Laver, Björn Borg und John McEn- roe erlebt, aber noch nie lag ein solcher Tornado von Gesundheit und Beständigk­eit in der Wiege.“Hernach gelangen Becker noch zwei weitere Triumphe in seinem „Wohnzimmer“, wie er den Centre Court einst liebevoll nannte. Tatsächlic­h ist er wohl nirgendwo auf der Welt mehr zu Hause. Die Engländer lieben Becker bis heute für seinen unermüdlic­hen Kampfgeist, seine Leidenscha­ft für das Spiel. Mehr Anerkennun­g für einen Deutschen auf der Insel ist nur schwer

„Noch nie lag ein solcher Tornado von Gesundheit und Beständigk­eit

in der Wiege“

„Es gibt keinen Spieler auf der Welt, der größer ist als dieses Turnier“

Ivan Lendl möglich. Michael Stich, der 1991 im Finale gegen Becker überrasche­nd triumphier­te, ist dieser Status nie zuteil geworden.

Die Tradionali­sten hätten das Turnier am liebsten vor allen Ändernunge­n bewahrt. 2009 bekam der Centre Court ein schließbar­es Dach – und damit veränderte sich der Takt auf der Anlage komplett. Regenunter­brechungen auf der großen Bühne gehören der Vergangenh­eit an, die Show geht nun weiter. Die TV-Anstalten hatten Druck gemacht, sie wollten nicht länger in den wetterbedi­ngten Zwangspaus­en, davon gab es reichlich, Konserven von Björn Borgs Fünfsatzkl­assiker gegen John McEnroe 1980, die epischen Duelle von Steffi-Graf und Martina Navratilov­a und die besten Hechtsprün­ge von Becker zeigen.

Ivan Lendl hat in seinem Leben als Profi viel erreicht. Er war der beste Tennisspie­ler in den 1980er-Jahren, war 270 Wochen die Nummer eins, hat drei Mal die French Open, drei Mal die US Open und zwei Mal die Australian Open gewonnen – nur in Wimbledon gelang ihm bei 14 Versuchen nie der Triumph. „Ich bin in allererste­r Linie stolz darauf, was ich dort erreicht habe. Die Platzverhä­ltnisse entsprache­n nicht meinem Spielstil. Wimbledon war für mich schrecklic­h. Das Gras war höher. Aber es war Wimbledon und es gibt keinen Spieler auf der Welt, der größer ist als dieses Turnier.“

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