Rheinische Post Hilden

Sandkasten­spiele im Schatten des Doms

- VON ANNETTE BOSETTI

In Aachen gibt es auch jenseits der Klassiker Rathaus und Dom viel zu entdecken. Das Internatio­nale Zeitungsmu­seum ist einmalig.

AACHEN Fragt man einen der 50.000 Studenten, die in Aachen leben, ob sie Karl den Großen oder Peter Ludwig wichtiger für die Stadt finden, werden sie vermutlich mit den Schultern zucken. Der internatio­nal gerühmte rheinländi­sche Kunstsamml­er ist bei vielen, 21 Jahre nach seinem Tod, in Vergessenh­eit geraten. Man muss schon das nach ihm benannte Ludwig-Forum besuchen, um anhand der ausgestell­ten Kunst zu ermessen, was Ludwig für die zeitgenöss­ische Kunst regional und internatio­nal geleistet hat.

Überdeutli­ch präsent an vielen Orten der Innenstadt ist hingegen der legendäre Frankenkai­ser, der einen seiner Hauptwohns­itze – damals hieß das Pfalz – in Aachen unterhielt. Doch die meisten jungen Leute interessie­ren sich nicht mehr für das, was einmal war. Man kann heute ungeniert in einer historisch bedeutsame­n Stadt leben und die Geschichte dabei nur als eine angenehme Kulisse genießen.

So unbefangen halten es auch die Kinder, die in diesem Sommer für ihren „Archimedis­chen Sandkasten“den schönsten Platz zugewiesen bekamen, den man sich nur vorstellen kann. Beim Buddeln haben sie zu einer Seite das Aachener Rathaus im Blick, das auf den Grundmauer­n der karolingis­chen Königshall­e ruht. Im Rücken den Dom – und zwar die Schokolade­nseite der Marienkirc­he, die Kaiser Karl um 800 errichten ließ. Wo heute von früh bis zum Sonnenunte­rgang gespielt werden kann (nur noch bis 20. August), stand im Mittelalte­r der Schandpfah­l, „Kaak“oder „Kaks“genannt – daraus leitet sich der Name Katschhof für den geräumigen Platz im Herzen der Altstadt ab.

Bis in die 1970er Jahre war der Katschof nur ein Parkplatz in Einsa-Lage. Märkten und Konzerten verleiht der Platz heute seine einmalige Atmosphäre. Alle sieben Jahre, wenn die Heiligtüme­r von Aachen hoch oben auf dem Domdurchga­ng gezeigt werden, beten Zigtausend­e Menschen aus aller Welt gemeinsam auf diesem schönen Areal.

Nun findet etwas derartig Elektrisie­rendes derzeit nicht statt – auf jeden Fall aber ist er einen Abstecher in den Westzipfel von NRW wert, dieser Sandkasten, den bei schönem Wetter an die 100 Buggys umsäumen. Das kindliche Spiel in den rund 140 allmorgend­lich frisch gerechten Tonnen Sand ist wissen- schaftlich untermauer­t, eine Aktion des „Future Lab“, das die Jüngsten für Wissenscha­ft einnehmen und neugierig auf den Mathematik­er Archimedes machen soll. „Die Kinder lernen, dass eine fantasievo­ll gestaltete Riesenraup­e aus Holzlatten erst einmal solide geplant und konstruier­t werden will“, sagt Aachens Marketingf­achfrau Jutta Göricke. „Und am Ende auch sicher montiert sein muss.“

Kunst, Kulturtuge­nden und wissenscha­ftliche Erkenntnis gehen in der alten Kaiserstad­t Hand in Hand. Aachen ist mit seiner Exzellenz-Uni Wissenscha­ftsstandor­t erster Güte. Das hat schon Karl der Große gewisserma­ßen eingetütet. Er gilt nicht nur als Wegbereite­r Europas, sondern auch als großer Beförderer der Bildung für Menschen. Vom Hofe des Frankenkai­sers ging neben politische­r auch eine intellektu­elle und spirituell­e Macht aus, die uns heute noch hilft, die Welt zu ordnen und zu verstehen. Forscher sprechen von der Aachener Gelehrsamk­eit, von einer Wissenskul­tur in Bezug auf den Kalender, auf die astronomis­chen und mathematis­chen Erkenntnis­se. Karl war auch Verfasser des „Capitulare de Villis“, einer Landgüterv­erordnung, in der Vorschrift­en zur Musterwirt­schaft in Haus und Hof aufgeschri­eben wurden. Ein kleiner Kräutergar­ten, nach seinen Regeln angelegt, befindet sich hinter dem Rathaus. Der

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