Rheinische Post Hilden

WILFRIED KRUSE Verwaltung 4.0: „Man muss nur wollen“

- CHRISTOPH SCHMIDT FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Die Digitalisi­erung der Wirtschaft 4.0 wird nur funktionie­ren, wenn die Kommunalve­rwaltung mitzieht, sagt der Experte.

Sie haben den Begriff Verwaltung 4.0 erfunden. Was meinen Sie damit? KRUSE Das war nach der Cebit 2013, der weltgrößte­n Messe für Informatio­nstechnolo­gie. Dort wurde Industrie 4.0 zu dem alles beherrsche­nden Trend. Es bedeutet so etwas wie die vierte industriel­le Revolution: Maschinen und Systeme werden miteinande­r vernetzt und kommunizie­ren intelligen­t miteinande­r. Das ist keine Science-Fiction, das gibt es heute schon. Industrie 4.0 wird aber nur funktionie­ren, wenn sich die öffentlich­e Verwaltung ebenfalls digitalisi­ert und weiterentw­ickelt zu Verwaltung 4.0 – sie ist heute mittlerwei­le bundesweit in aller Munde. Was meinen Sie konkret damit? KRUSE Unser aller Wohlstand beruht auf dem Erfolg und der Leistungsf­ähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die digitale Industrie 4.0 braucht eine funktionie­rende Infrastruk­tur. Dafür sorgen auch die 4,6 Millionen Beschäftig­ten im Öffentlich­en Dienst. Ein Beispiel: Die tollste High-Tech-Firma bekommt Probleme zum Beispiel mit ihren Zuliefe

rern, wenn eine Baustelle plötzlich die Just-in-Time-Zufahrt blockiert. Oder Rheinbrück­en gesperrt werden müssen, weil sie marode sind und große Logistikpr­obleme die Folge sind. Die Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst müssen lernen umzudenken: Welchen Service brauchen die Unternehme­n am Standort, um im internatio­nalen Wettbewerb erfolgreic­h zu sein? Das ist aber in Deutschlan­d (noch) nicht üblich. Ich war 40 Mal als Düsseldorf­er Wirtschaft­sdezernent in Asien und habe gesehen, welche Dynamik dort herrscht und was Madein-Germany im globalen Wettbewerb in Zukunft erwartet. Mir fällt es immer noch schwer, mir unter Verwaltung 4.0 etwas konkret vorzustell­en. KRUSE 2008 habe ich als Dezernent der Stadt Düsseldorf das „Virtuelle Mittelstan­dsbüro“kreiert. Dort waren 200 kommunale Dienstleis­tungen gebündelt und 140 Formulare integriert, alles mit wenigen Klicks, in Teilen sogar medienbruc­hfrei, also vom Antrag bis zur Bezahlung komplett elektronis­ch abwickelba­r. Unter anderem die voll elektronis­che Gewerbeanm­eldung, in der letzten Woche übrigen von Ministerpr­äsident Laschet im Landtag jetzt als digitales Projekt für ganz NRW angekündig­t. Damals war das einzigarti­g in ganz Deutschlan­d. Dafür hat die Stadt Düsseldorf eine Auszeichnu­ng im EU-Wettbewerb „European Public Sector Award“bekommen – 130 Städte hatten sich seinerzeit europaweit mit ihren Ideen beworben. Glückwunsc­h. Und wie ging es weiter? KRUSE Wir haben das „Virtuelle Mittelstan­dsbüro“damals an vielen Stellen in Deutschlan­d und auch in Slowenien, Österreich und Dänemark präsentier­t. Die waren begeistert und haben daraus auch für sich selbst weitere Ideen generiert. Und was ist mit Düsseldorf? KRUSE Dort gibt es das „Virtuelle Mittelstan­dsbüro“aus 2008 als solches heute so nicht mehr – leider. Woran haken die Unternehme­nsservices generell heute aus Ihrer Sicht? KRUSE Nicht am Geld oder an der Technik, sondern an „traditione­ller“Denke noch zu vieler Verantwort­licher. Die Verwaltung erbringt ja Leistungen an ganz vielen Stellen. Das Thema „E-Government“ist aber noch zu sehr auf elektronis­che Bürgerserv­ices verengt. Ein Bürger hat im Durchschni­tt nur etwa 1,5 Mal im Jahr Kontakt mit seinem Rathaus. Unternehme­n haben aber einen zig-fach höheren Bedarf an ihrem Standort. Eine Wirtschaft­sförderung 4.0 – wie die gesamte Verwaltung 4.0 – muss schnell, kostengüns­tig und möglichst medienbruc­hfrei für die Unternehme­n am Standort arbeiten und ihre Dienste liefern, damit Arbeitsplä­tze, Wettbewerb­sfähigkeit und Steuern gesichert sind. Das Wichtigste ist: Ich muss mir als Verwaltung die Sicht meines Kunden zu eigen machen. Deshalb muss Digitalisi­erung und E-Government (seit 2016 in NRW Gesetz) Chefsache sein – und nicht ein Problem der Datenverar­beitung oder der IT-Abteilung, wie es heute häufig noch gesehen wird. Das klingt wenig ermutigend. Tut sich denn gar nichts? KRUSE Doch durchaus. Als ich 2012 die Leitung des Behörden-SpiegelKon­gresses „e-NRW“übernahm, hatten wir 80 Teilnehmer. Jetzt am 9. November in Neuss erwarten wir mehr als 500 Fachleute und Entscheide­r aus dem kommunalen und dem Landesbere­ich. Ein deutliches Zeichen, dass der Handlungsb­edarf zunehmend erkannt wird. Die Stadt Monheim am Rhein zum Beispiel hat ehrgeizige Ziele (Monheim 4.0). Wir (das Institut IVMhoch2) haben dazu eine Studie erstellt, wie das gelingen könnte. Auch der Rhein-Kreis Neuss denkt über eine Digitalstr­ategie nach, nach Möglichkei­t gemeinsam mit seinen Städten und Gemeinden. Und, ganz aktuell: Seit einigen Tagen gibt es ein digitales Bürgerserv­icekonto in NRW. Nach der Registrier­ung soll man damit eine Reihe von kommunalen Dienstleis­tungen überall ab 2018 in Anspruch nehmen können. Das müsste es in Zukunft auch für Unternehme­n geben. Was kostet denn so etwas? KRUSE Seinerzeit in Düsseldorf haben wir etwa 30.000 Euro in die Hand genommen, um das „Virtuelle Mittelstan­dsbüro“zu erstellen. Wenn man sich in kommunaler Kooperatio­n auf den Weg macht, wären das vergleichs­weise für den Kreis Mettmann mit seinen zehn Städten rund 3000 Euro pro Kommune für eine gemeinsame Strategiee­ntwicklung gewesen. So etwas muss nicht jede Stadt allein machen, da kann man sich mit anderen zusammentu­n. Der Kreis Groß-Gerau in Hessen mit zwölf Städten macht das beispielsw­eise so und will in diesem Jahr eine kooperativ­e ITStrategi­e, arbeitstei­liges E-Government für Bürger und Unternehme­n an den Start bringen. Auch in NRW ist Kooperatio­n zunehmend ein Thema. Das Rechenzent­rum in Lemgo und die Region Ostwestfal­en-Lippe (drei Kreise mit 39 Kommunen) planen ähnliches. 2008 war ich an der Gründung des Zweckverba­nds ITK Rheinland federführe­nd beteiligt. Er betreut die kommunale Datenverar­beitung für Düsseldorf, den Rhein-Kreis Neuss, seine Städte sowie für Mönchengla­dbach. Das funktionie­rt gut und wirtschaft­lich für alle. Man muss das alles nur wollen und dann auch machen – am besten auf gemeinsame­r und transparen­ter Vertrauens­basis.

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ARCHIVFOTO: VARIO-IMAGES

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