Gemischte Bilanz nach 100 Tagen
Die neue Regierung ist seit Ende Juni im Amt. Wegen der langen Sommerpause ist es für eine Zwischenbilanz noch zu früh. Aber dennoch zeigt sich: Einige Minister haben einen guten Start erwischt und gewinnen ein erstes Profil. Andere wirken noch immer recht blass.
DÜSSELDORF Vieles ist angekündigt, einiges auf den Weg gebracht, manches umgesetzt. Beim Personal erwischte die Landesregierung einen holprigen Start. Ministerpräsident Armin Laschet war bis kurz vor der Landtagswahl selbst innerhalb der CDU als Frontmann umstritten. Etliche hielten ihn für einen Verlegenheitskandidaten. Heute, 100 Tage nach der Bildung der schwarz-gelben Regierung, sind die Kritiker verstummt. Laschet hat sich durchgesetzt. Bei den Wählern wie auch in der NRWCDU. Im Rekordtempo schmiedete der Aachener mit FDP-Chef Christian Lindner eine schwarz-gelbe Koalition. Klug band er einstige Gegner wie Karl-Josef Laumann in die Kabinettsdisziplin ein: Laumann wurde Gesundheitsminister. Obwohl Laschet sein Auftreten kaum verändert hat, nimmt auch die Öffentlichkeit ihn nun anders wahr. Seinen verschmitzten Gestus, der ihm zu Oppositionszeiten oft als mangelnde Seriosität ausgelegt wurde, werten viele jetzt als souveräne Geste der Selbstironie. Laschet gibt den Problemlöser. Der Abbau von Bürokratie soll die versteckten Kräfte in NRW wecken – das ist der Kern seiner Regierungsphilosophie. Weil es wegen der Sommerpause erst wenige Kabinettssitzungen gab, steht der Praxistest noch aus. Bislang finanzierte er die wichtigsten Maßnahmen – mehr Geld für Polizei, Schule und Kinder – auf Pump. Seine erste Bewährungsprobe wird die Aufstellung des Landeshaushalts 2018 sein. Dann muss er zeigen, ob er nur die Scheckbuch-Politik beherrscht oder auch sparen kann. (tor) Finanzminister Lutz Lienenkämpers Nachtragshaushalt für 2017 sieht rund 1,5 Milliarden Euro an neuen Schulden vor. Das konnte der CDU-Politiker noch halbwegs glaubhaft mit Versäumnissen der Vorgänger begründen. Der Haushalt für 2018 aber wird zeigen, wie teuer die schwarzgelben Wahlversprechen tatsächlich werden – und ob die Schulden steigen. (kib) Innenminister Herbert Reul ist das Kunststück geglückt, die im Wahlkampf versprochenen 300 zusätzlichen Polizeianwärter noch in diesem Jahr einzustellen, obwohl der Haushaltsplan der Vorgängerregierung dafür keine Planstellen vorgesehen hatte. Um dieses Wahlversprechen zu ermöglichen, werden 1,5 Millionen Euro dafür über einen Nachtragshaushalt finanziert. Aber auch Reul wird dem Finanzminister irgendwann sagen müssen, wo er sparen will. Er wird versuchen, Bagatellaufgaben der Polizei künftig an private Dienst- leister oder an die Ordnungsämter zu delegieren. Mit dem Ausbau der Videoüberwachung und der Abschaffung der Kennzeichnungspflicht auf Polizeiuniformen, durch die sich die Polizei diskriminiert fühlte, setzte er weitere Wahlversprechen um. Eine echte Bewährungsprobe gab es für Reul aber noch nicht. (tor) Umweltministerin Christina Schulze Föcking hat ihre erste Abwehrschlacht gewonnen: Die von Einbrechern aufgezeichneten Filmaufnahmen von notleidenden Tieren auf dem Hof der Familie haben ihr zwar den Auftakt vermasselt. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft erklärt, dass sie weder Anlass für Ermittlungen gegen die Umweltministerin selbst sieht noch gegen andere Personen des Hofes. Schulze Föcking hat aber ein anderes Problem. Ihr neues Ministerium ist geprägt von vielen Grünen, die sich unter ihrem Vorgänger Johannes Remmel (Grüne) leidenschaftlich dem Kampf gegen die konventionelle Landwirtschaft verschrieben haben. Wie man hört, fällt es der überzeugten konventionellen Landwirten in einigen Abteilungen ihres Ministeriums nicht leicht, sich durchzusetzen. (tor) Europaminister und Ex-Medienminister Stephan Holthoff-Pförtner steht für die bislang größte Panne der neuen Landesregierung. Die Ernennung des Miteigentümers der Funke-Mediengruppe zum neuen Landesminister für Medien bedeutete einen so offensichtlichen Interessenkonflikt, dass Laschet ihm diese Zuständigkeit nach wenigen Wochen schon wieder entzog. Als Minister für Europa-Angelegenheiten verbuchte Holthoff-Pförtner aber einen Erfolg: NRW und die Niederlande werden sich regelmäßig zu Regierungskonsultationen treffen. Das ist eine Aufwertung des Laschet-Kabinetts, weil solche Konsultationen eigentlich Berlin vorbehalten sind. (tor) Schulministerin Yvonne Gebauer hat das wohl schwierigste Ressort übernommen. Ihre größten Baustellen sind die Rückkehr zu G9 im Schuljahr 2019/20, die Erfassung des Unterrichtsausfalls vom nächsten Schuljahr an – und die Inklusion. Hier drosselte die Kölnerin das Tempo und stoppte die weitere Schließung von Förderschulen. Vielen Eltern geht insbesondere die Abkehr vom Turbo-Abi nicht schnell genug, auch ist das Konzept noch nicht ganz ausgereift. Bundesweit sorgte Gebauer für Aufsehen, weil sie die Methode „Schreiben nach Hören“in der Grundschule abschaffen will. (kib) Verkehrsminister Hendrik Wüst zählt bisher zu den Unauffälligeren im Kabinett. Der CDU-Politiker hat viele Staus und eine marode Infrastruktur geerbt. Kurz nach dem Regierungswechsel drohte die Autobahnbrücke Neuenkamp zu kollabieren, und er griff ausgerechnet auf ein Rezept zurück, das die Opposition zuvor auf der A1 kritisiert hatte: die LkwWaage. Abhilfe schaffen will er mit einem effizienteren Baustellen-Management. In den kommenden zwölf Monaten will er für die Straßen-Infrastruktur zwölf Planfeststellungsbeschlüsse fertigstellen und Ende November ein Mobilitätskonzept vorlegen. (kib) Von der parteilosen Kulturund Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen war bisher sehr wenig zu hören. Ihr erstes Projekt soll es sein, die Büh- nen und Orchester im Land zu stärken. Der Etat soll stufenweise binnen fünf Jahren um 50 Prozent wachsen. Sie kündigte zudem eine Novelle des Hochschulgesetzes an und gewährte einen ersten Einblick, worum es dabei geht: Studienberatung könnte verpflichtend werden, Universitäten sollen künftig in Seminaren eine Anwesenheitspflicht der Studenten verlangen können. (kib) Das Ressort von Wirtschafts- und Digitalminister Andreas Pinkwart ist ein Superministerium. Angesichts der Aufgabenfülle muss es sein Anspruch sein, NRW im Ländervergleich dauerhaft nach vorn zu bringen. Die Energiepolitik allerdings wirkt in Teilen rückständig. Der Windkraftausbau soll gebremst werden, sodass über 90 Prozent der dafür vorgesehenen Flächen wegfallen. Den Abschied von der Braunkohle will auch Pinkwart nicht beschleunigen. Konkreter wurde der FDP-Politiker bei seinem ersten größeren Aufschlag, dem „Entfesselungspaket“: Längere Ladenöffnungszeiten, mehr verkaufsoffene Sonntage, die Einführung der elektronischen Gewerbeanmeldung und die Abschaffung der HygieneAmpel zählen dazu. (kib) Joachim Stamps Familienministerium hat eine Aufwertung erfahren: Nie zuvor hatte es in NRW der stellvertretende Ministerpräsident inne. Stamp ist auch für die Integration der Flüchtlinge verantwortlich. Wie der FDP-Minister hier vorgehen will, ist noch nicht klar erkennbar.
hat in ihren ersten 100 Tagen im Amt zwei Wahlversprechen umgesetzt. Die unter Rot-Grün eingeführte, rechtlich umstrittene Vorgabe, nach der Frauen selbst bei schlechterer Qualifikation bevorzugt befördert werden müssen, ist so gut wie vom Tisch. Dasselbe gilt für die Abschaffung des unbeliebten Kommunal-Soli, der reichere Kommunen in NRW zur Unterstützung ihrer ärmeren Nachbarn gezwungen hat. Dank üppig sprudelnder Steuerquellen bekommen die bisherigen Empfänger das Geld trotzdem, ohne dass andere Kommunen dafür zahlen müssen. Mit der Verlängerung der Fristen für den Abruf von Fördergeldern bewies Scharrenbach ein gutes Gespür für die praktischen Nöte der Kommunen. Sie lassen derzeit etliche Millionen liegen, weil sie gar nicht genug Personal haben, um das Fördergeld zu verplanen. (tor)