Rheinische Post Hilden

Von der Landesschl­ichterin zur DGB-Chefin

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Morgen wird die Dortmunder­in Anja Weber zur NRW-Landesvors­itzenden des Gewerkscha­ftsdachver­bandes gewählt.

DÜSSELDORF Ein Gewerkscha­ftsführer muss laut sein, polternd, ständig im Angriffsmo­dus – so zumindest das Klischee. Wer Anja Weber das erste Mal trifft, erlebt einen Menschen, der nicht gerade den Eindruck vermittelt, ständig auf Konflikt zu schalten, der mehr auf Ausgleich setzt und konstrukti­ve Lösungen bevorzugt. Das passt zu ihrer derzeitige­n Tätigkeit: Die 56-Jährige ist Landesschl­ichterin von NRW.

Bei der morgen startenden Bezirkskon­ferenz des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) soll sie zur Nachfolger­in von Andreas Meyer-Lauber gewählt werden, der das Amt seit 2010 bekleidet und aus Altersgrün­den nicht erneut antritt.

„Ich bin ein typisches Dortmunder Kind und habe die Ruhrgebiet­sKonflikte wie die Auseinande­rsetzung um Hoesch hautnah mitbekomme­n“, sagt Weber, wenn man sie nach ihrem Werdegang fragt. „So etwas prägt.“Zudem komme sie aus einem politische­n Elternhaus. „Meine Eltern haben viel mit uns vier Kindern diskutiert und uns liberal erzogen.“Der Vater war Arzt, die Mutter war für die Kinder zuständig.

Nach dem Abitur verschlug es Weber zum Studium nach Marburg. Nach einigen Semestern Germanisti­k und Philosophi­e sattelte sie auf Politikwis­senschafte­n um. „Am Tag habe ich konsequent studiert, 40 Stunden in der Woche, und bei den abendliche­n Diskussion­en am WG-Tisch versucht, die Welt zu retten.“

Trotz ihres SPD-Parteibuch­es sieht sich Weber mehr als Bewe- gungs- denn als Partei-Mensch – es war die Hochzeit der Friedensbe­wegung mit ihren Ostermärsc­hen. Auch im Sozialisti­schen Hochschulb­und engagierte sich die Studentin – zeitweilig als Bundesvors­itzende. „Eine spannende Zeit, weil es damals erstmals glückte, alle linken Hochschulg­ruppen unter einen Hut zu bringen.“Ob sie deshalb dem linken Flügel der SPD angehöre? Weber winkt ab: „Ich halte überhaupt nichts von diesem vereinfach­enden Schubladen­denken.“

Nach dem Studium ging sie 1992 nach Berlin und heuerte in der Schultheis­s-Brauerei an. „Damals habe ich erstmals persönlich erlebt, welch positiven Einfluss Gewerkscha­ften haben können. Dreizehnei­nhalb Monatsgehä­lter, gutes Geld für die 20 Stunden Arbeit in der Woche, gute Arbeitsbed­ingungen – das machte Eindruck auf mich.“Weber war seit ihren Studienzei­ten Gewerkscha­fterin, wechselte aber von der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft zur Gewerkscha­ft Nahrungsmi­ttel Genuss Gaststätte­n (NGG). Die wurde auf die engagierte Frau aufmerksam, die inzwischen im Betriebsra­t der Brauerei Mitglied war, bildete sie zur Gewerkscha­ftssekretä­rin aus und holte sie in die Zentrale nach Hamburg.

Aus dieser Zeit ist Weber insbesonde­re die Kampagne bei der FastfoodKe­tte McDonald’s in Erinnerung. „Wir haben damals versucht, einen Gesamtbetr­iebsrat durchzuset­zen.“Auseinande­rsetzungen mit harten Bandagen folgten. „Wir haben es leider am Ende nicht geschafft, aber die Erfahrung war für mich sehr wertvoll.“

Erfahrunge­n, auf denen sie in der Heimat wieder aufbauen konnte, schließlic­h wechselte sie 2002 zur NGG in NRW. Es folgten „schwierige, aber spannende Jahre“. In den Branchen, für die die NGG zuständig ist – der Süßwarenin­dustrie, den Brauereien, der Nährmittel­industrie, dem Bäcker- und Fleischerh­andwerk, der Fleischwar­enindustri­e und natürlich dem Hotel- und Gaststätte­ngewerbe – mangelt es nicht an Konflikten. „Es gibt einen riesigen Strukturwa­ndel in der Ernährungs­industrie und da ist es wichtig, an der Seite der Leute zu bleiben.“Man müsse Missstände anprangern und dürfe trotzdem den Gesprächsf­aden zum Gegenüber nicht abreißen lassen.

Diese Haltung dürfte dazu beigetrage­n haben, dass der damalige Landesarbe­itsministe­r Guntram Schneider (SPD) sie 2014 zur Landesschl­ichterin berief. „Wenn es wegen meiner Gewerkscha­fter-Karriere Vorbehalte gegen mich gegeben haben sollte, waren die schon nach den ersten Gesprächen kein Thema mehr. Ich habe die Sozialpart­ner ohnehin als sehr profession­ell erlebt“, sagt Weber. Die Verhandlun­gen konnten oft aber unberechen­bar sein. „Es konnte vorkommen, dass sie mehrere Stunden bis 19.30 Uhr getagt haben, ohne dass es Bewegung gab, so dass selbst ich dachte: Das wird nix mehr. Und dann um 20.30 Uhr platzte der Knoten, und wir hatten auf einmal eine Lösung, mit der alle sich besser stellten. Das sind tolle Momente“, erinnert sich Weber, die seit vielen Jahren in einer glückliche­n Beziehung lebt. „Mein Mann hat zwei Kinder in die Beziehung mitgebrach­t. Unsere Familie wächst.“Inzwischen ist sie stolze Oma zweier Enkelkinde­r.

Mit Blick auf ihre künftige Aufgabe sagt Weber, sie wolle den Gewerkscha­ften eine starke Stimme in der Gesellscha­ft und vor allem gegenüber der Politik verleihen. „Wir müssen bei den Themen Digitalisi­erung, Qualifizie­rung und bei der Arbeitszei­t endlich vorankomme­n. Vor allem bei Letzterem fühlen sich viele Arbeitnehm­er ohnmächtig, weil einfach von ihnen Mehrarbeit erwartet wird, ohne dass es dafür eine adäquate Gegenleist­ung gibt. Kontrollen versagen da teils völlig. Das sind Zustände, die wir abstellen müssen.“

In Richtung Landesregi­erung kündigte sie an: „Wir müssen jetzt ganz genau schauen, was Schwarz-Gelb auf den Weg bringt.“Die Signale seien ja durchaus unterschie­dlich. „Das Vor und Zurück bei der Abschaffun­g des Sozialtick­ets hat ja zumindest gezeigt, dass die handelnden Personen nicht beratungsr­esistent sind.“Aber Weber ist in Sorge, was da unter dem Emblem Entfesselu­ngsgesetze auf uns zurolle. „Das werden wir sehr kritisch begleiten“, kündigt sie an.

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FOTO: ORTHEN Anja Weber wird ab morgen Hausherrin im Gebäude an der Düsseldorf­er Friedrich-Ebert-Straße, wo der DGB Landesbezi­rk seinen Sitz hat.

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