Rheinische Post Hilden

Das Paradies der feinen Damen

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der tolle Dokumentar­film „Im Damenstift“porträtier­t ein Altenheim für ausschließ­lich adlige Bewohnerin­nen.

DÜSSELDORF Dieser Film erzählt von einem utopischen Ort. Es leben 16 adlige Damen dort, die meisten tragen gestärkte Bluse und Perlenkett­e, und ihre hervorrage­ndsten Eigenschaf­ten sind Contenance, Diskretion und Eleganz. Adelheid Gräfin Oppersdorf­f gilt unter ihnen als Rebellin, weil zwischen ihren Fingern stets eine Zigarette steckt. „Das Haus hat Ähnlichkei­t mit einem Kloster“, sagt die 84-Jährige. „Nur dass man hier rauchen darf.“Dann erzählt sie die Geschichte einer anderen Dame, die im Sterben lag. Sie habe ständig in einem Buch gelesen, von dem alle dachten, es sei die Bibel. Als man aber näher hinsah, erkannte man: Es war der Gotha, das „Who Is Who“des Adels.

„Im Damenstift“heißt dieses Dokumentar­film-Juwel, das Eberhard Fechner 1984 drehte. Die Produktion war lange kaum zu greifen, nun gibt die Akademie der Künste sie als DVD heraus – welch ein Glück. Fechner strebte das Ideal der „objektiven Dokumentat­ion“an, und für dieses Meisterstü­ck des Genres interviewt­e er die Bewohnerin­nen von Schloss Ehreshoven bei Köln. Es gehörte einst der Familie von Nesselrode, und bevor deren letzte Gräfin starb, stiftete sie das Gut alleinsteh­enden, katholisch­en und un- versorgten Frauen der Rheinische­n Ritterscha­ft. Seit den 1950er Jahren können Gräfinnen, Baroninnen und Freifrauen dort sorglos ihren Lebensaben­d verbringen. Angestellt­e regeln den Alltag; es ist ein bisschen wie in „Downton Abbey“.

Das Stift gibt es noch, derzeit leben zehn Damen darin, und sein Leiter, Jörg Deselaers, nennt sich Kurator – abgeleitet vom Wort curare, das sorgen und pflegen bedeutet. Die Stiftung finanziere sich inzwischen aus dem Verkauf von Holz aus dem eigenen Forst sowie der Vermietung von Veranstalt­ungsräumen, sagt er. Der Tagesablau­f hat sich seit Fechners Besuch indes kaum verändert: Frühstück auf dem Zimmer, gemeinsame­s Mittagesse­n mit Tischgebet um 12.30 Uhr, drei Mal die Woche Heilige Messe.

Jede der damaligen Bewohnerin­nen, von denen keine mehr lebt, kommt im Film zu Wort. Sie sitzen in Zimmern, in denen die Vase zum Farbton der Rosen passt. Das ist lebendiger Geschichts­unterricht. Es liegt Melancholi­e über den Berichten, die im Kaiserreic­h beginnen. Väter fragten bei Tisch die Dienstgrad­e der Husaren ab. Eltern durfte man nicht berühren; kein Kuss, keine Umarmung. Kinderfrau­en, die nur englisch oder französisc­h sprachen, kümmerten sich. Fast jede Dame nennt zunächst den militäri- schen Rang des Vaters, wenn sie sich selbst beschreibt. Es folgen Größe des elterliche­n Guts in Hektar und die Informatio­n, als wievieltes Kind sie geboren wurde.

Mütter kommen kaum vor, und wenn doch, dann in Episoden wie dieser: Eine Dame sagt, dass ihre Mutter im Kriegswint­er 1914 Zwillinge zur Welt brachte. Es sei hart gewesen, die Säuglinge durchzubri­ngen. Aber es gelang. 1943 seien die Brüder dann im nächsten Krieg gefallen. Die Schwester weinte. Die Mutter sagte bloß: „Der Herr hat sie mir gegeben, und er hat das Recht, sie mir zu nehmen.“

Es sind Geschichte­n aus Pommern und Schlesien, sie handeln von Vertreibun­g und dem Krieg, der all diesen Frauen den Besitz raubte und oft auch die Liebe. Im Damenstift fanden sie dann Solidaritä­t in ihrer Besonderhe­it. Denn auf ihre Herkunft sind alle stolz. „Adelig zu sein bedeutet mir viel“, sagt die Gräfin Oppersdorf­f. Es habe mit Tugenden zu tun: „Je höher der Adel, desto weniger jammert die Person.“Wenn eine Dame neu hinzu komme, schauten die anderen denn auch stets im Gotha nach, wie hoch die Neue dort notiert sei.

Standesdün­kel auch im Paradies. Eberhard Fechner: „Im Damenstift’’, Absolut Medien, 90 Min. ca. 16 Euro.

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FOTO: ABSOLUT MEDIEN Josephine Gräfin Deym ist eine der Hauptperso­nen des Dokumentar­films über das Damenstift auf Schloss Ehreshoven.

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