Alles nur gewebt
Die Anni-Albers-Retrospektive in der NRW-Kunstsammlung ist ein Augenöffner und Schlüssel zur konzeptuellen Kunst.
DÜSSELDORF Muster und Stoffe gehören in unser Leben. Schon morgens beginnen wir, nachzudenken, welche Krawatte oder welche Bluse wir auswählen und kombinieren, um uns an einem Tag wohlzufühlen. Die Wohnung, die Textilien, das Auto, die Stadt – alles ist eine einzige Inszenierung, die von alters her Moden unterliegt und Traditionen herausbildet. Das Muster ist ein Ausdruck vom Urbedürfnis des Menschen, zu gestalten, zu komponieren, zu strukturieren. Und ein Gedankenfänger ist es außerdem. Beim Telefonieren kritzeln Leute die tollsten Gemälde auf Papier, manche sind museumsreif.
Die Komposition von Mustern, die von Hand produzierten Gewebe und Stoffe, die Idee, die Räumlichkeit in der Fläche zu beschreiben, das Licht zu fangen oder zu filtern – all dies, nur viel konzeptueller, feiner und künstlerisch gedacht, vollzog die Bauhaus-Künstlerin Anni Albers, deren Werk jetzt in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalens chronologisch ausgebreitet ist. Fäden waren ihr Lehrmeister. Der Welt, der die junge Berlinerin mit ihrer Bewerbung ans Bauhaus als Jüdin entkam, bezeichnete sie als „Knäuel der Hoffnungslosigkeit“.
Nachdem sie ein Studium der Malerei bereits hinter sich hatte, entdeckte sie am Bauhaus die Jahrtausende alte Technik des Webens als ihr Ding, die Welt künstlerisch zu durchdringen. Vor allem am Werk ihrer beiden Idole, den Bauhausmeistern Paul Klee und Wassily Kandinsky, maß sie das ihre.
300 Arbeiten, hochfragil und lichtempfindlich, darunter zahlreiche kostbare Leihgaben, wurden nach Düsseldorf beordert, in Zusammenarbeit mit der Londoner Tate ist es seit rund 20 Jahren die erste so umfassende Soloschau. Und man sieht sogleich, Albers hinterlässt ein reiches Werk.
Alles ist nur gewebt. Wer sich fragt, ob soviel Stofflichkeit in ein Kunstmuseum nach Art der NRWLandesgalerie überhaupt passt, sollte erst einmal schauen. Und wird staunen. Das, was ein zentraler Aspekt am Bauhaus war, hat Albers mit ihren facettenreichen Objekten beherzigt. Bauhaus-Gründer Walter Gropius strebte das „Einheitskunstwerk“an. Die trennende Unterscheidung von angewandter und bildender Kunst sollte aufgehoben werden, alle Sparten wollte man zusammenführen. Der spätere Bauhaus-Direktor Hannes Meyer machte sich für einen weiteren zukunftsweisenden Aspekt stark, gab das Motto „Volksbedarf statt Luxusbedarf“aus. Schönheit ging in Serienproduktion, die Demokratisierung der Kunst nahm ihren Lauf.
Dafür steht Albers wie keine andere. Heute erlebt man wieder ein Revival des Handwerklichen, sagt Direktorin Susanne Gaensheimer, die die Ausstellung von ihrer Vorgängerin Marion Ackermann übernommen hat. Sie zeigt sich glücklich darüber und ist mit Kuratorin Müller-Scharek einer Meinung, dass die Schau die Kraft des Augenöffners hat. Albers war überzeugt davon, dass „das Weben, wie jedes andere Handwerk, in der Produktion nützlicher Objekte münden oder sich auf die Ebene der Kunst erheben kann“. Gaensheimer sagt vor der Presse, dass das Albers-Oeuvre in seiner Linearität und Serialität der Konzeptkunst nahe ist und dass sie Anni Albers in ihrer eigenen Form der Abstraktion hoch schätzt.
Wie andere Künstlerinnen stand die nach Amerika emigrierte Berlinerin lange im Schatten ihres viel berühmteren Mannes, des Künstlers Josef Albers. Auch darum macht sich die Kunstsammlung NRW verstärkt verdient: Vergessene gute Künstlerinnen ins Licht zu rücken.
Die in der Klee-Halle ausgebreitete Ausstellung ist im dunklen Ton und frei nach Mustern aus Albers Werken gestaltet, chronologisch ge-
Die Welt, der Anni Albers als Jüdin entkam, bezeichnete sie als
„Knäuel der Hoffnungslosigkeit“
hängt, in Schwerpunkten um ein Zentrum gruppiert. Es gibt Stoffe, Studien, Raumteiler, Wandbehänge zu sehen, einige hinter Glas gesetzt als autonome Kunstwerke, andere als Muster erkennbar. Auch Schmuck, freie Gouachen und Drucke sind dabei. Gleich zu Beginn hängt ein noch im Bauhaus entstandener Entwurf für einen Wandbehang, datiert auf 1925. Leider wird Albers’ zentrale sechsteilige Arbeit erst ab August zu sehen sein. Die tafelhaften Gewebe „Six Prayers“entwarf sie auf Einladung des Jüdischen Museums New York, es sollte ein Mahnmal werden, ein gewebtes Gedenken in düsteren Farben. Albers schrieb einmal selber dazu, dass sie die Fäden wie ein Bildhauer eingesetzt habe oder wie ein Maler sein Material. Sie wollte mit Zeichen Schrift erzeugen, in Anlehnung an die Heilige Schrift. Die Stoffbahnen hat sie auf starre Untergründe aufgezogen, um den Eindruck von Gedenkstelen zu erzeugen. Wer genau schaut, wird all solche Dimensionen in Albers’ Werk entdecken.