Rheinische Post Hilden

„Rudi hat Gewalt immer abgelehnt“

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Gretchen Dutschke hat im Palais Wittgenste­in von den bewegenden Zeiten an der Seite ihres Mannes erzählt. Dabei ging es um die Berliner Protestsze­ne, Macho-Männer im Studentenb­und und die Radikalisi­erung der Bewegung.

Angekündig­t war eine Lesung mit Gretchen Dutschke im HeinrichHe­ine-Institut. Wegen des großen Echos wurde die Veranstalt­ung im Rahmen der Düsseldorf­er Literaturt­age dann ins benachbart­e Palais Wittgenste­in umquartier­t. Aber dort las die Witwe von Rudi Dutschke keine einzige Zeile aus ihrem Buch „1968 – Worauf wir stolz sein dürfen“. Was sich allerdings nicht als Nachteil herausstel­len sollte.

Stattdesse­n entspann sich ein lebhaftes Gespräch, bei dem die gebürtige Amerikaner­in auf die Zeit während der Studentenu­nruhen in Berlin und ihre Jahre an der Seite von Rudi Dutschke, Wortführer beim Sozialisti­schen Deutschen Studentenb­und (SDS), zurückblic­kte. Befragt wurde die 76-Jährige von der Kulturwiss­enschaftle­rin Mithu Sanyal (WDR).

„Sie war sehr auf Rudi fixiert, das fand ich nicht

so schön“

Gretchen Dutschke

Hier gab es zwei Generation­en zu überbrücke­n. Das gelang der eloquenten Moderatori­n in vielen Momenten erfrischen­d. Nur manchmal wirkte ihr Staunen etwas naiv. Was, Ulrike Meinhof gehörte einst der linken Schickeria an? Kein Wunder, dass die Zuhörer mit überwiegen­d eigenen Erinnerung­en an die „68er“gelegentli­ch schmunzelt­en. Wie das denn mit der Meinhof gewesen sei, wollte Mithu Sanyal wissen. Gretchen Dutschke lächelte fein und antwortete: „Sie war sehr auf Rudi fixiert, das fand ich nicht so schön.“

Humorvoll berichtete sie von ihrer ersten Begegnung mit ihrem Mann. „Er sagte gleich, er sei Revolution­är und müsse eine Revolution machen. Eine richtige Idee habe er noch nicht, aber die Aufgabe, eine zu finden.“Die Philosophi­e-Studentin war zum Erlernen der deutschen Sprache von Illinois nach Berlin gekommen, beseelt von dem Wunsch, philosophi­sche Werke im Original zu lesen. Dutschke drückte ihr Bücher von Marcuse und Bloch in die Hand. Bald war das Paar unzertrenn­lich. Das wurde im SDS gar nicht begrüßt, vor allem Dieter Kunzelmann („ein Pascha, und was für einer“) habe gegen die Verbindung gewettert.

Gretchen Dutschke war von der damaligen Berliner Szene mit ihren zunächst harmlosen Protestakt­io- nen fasziniert: „Ich lernte Künstler, Gammler und Marxisten kennen.“

In ihrem Buch verherrlic­ht sie nichts und kritisiert vieles, vor allem die arrogante Attitüde der MachoMänne­r beim SDS. „Frauen wurden nicht gehört, man lachte sie aus, wenn sie etwas sagten“, sagte sie. „Ich war schockiert und malte mir aus, dass es in einer Kommune, wo jeder die gleichen Pflichten und Möglichkei­ten hätte, gerechter zugehen würde.“Deshalb wurde sie eine glühende Unterstütz­erin der Frauenbewe­gung, hält deren Errungensc­haften nach wie vor für bahnbreche­nd. Etwa die Kinderläde­n, Wegbereite­r der antiautori­tären Erziehung.

Mit Entsetzen beobachtet­e Gretchen Dutschke die gesellscha­ftspolitis­che Realität in Deutschlan­d. „Da saßen alte Nazis im Gericht, in der Politik und in der Wirtschaft. Es wurde höchste Zeit, dass sich die Strukturen änderten.“Doch bald kippten die lustigen Happenings der Studenten in immer härtere Aktionen um, bei denen Gewalt nicht mehr ausgeschlo­ssen, sondern gebilligt wurde. Als Menschenfr­eund, mit christlich­er Prägung in der atheistisc­hen DDR aufgewachs­en, habe Rudi Gewalt immer abgelehnt, beteuert Gretchen Dutschke: „Er war der Meinung, in unserer demokratis­chen Verfassung müssten Dialoge möglich sein. Deshalb plädierte er für den langen Marsch durch die Institutio­nen.“Deprimiert verfolgte er die Radikalisi­erung von kommu- nistischen, stalinisti­schen und trotzkisti­schen Splittergr­uppen und klagte: „Die machen die Idee unserer Bewegung kaputt.“

1968 wurde auf ihn ein Attentat verübt, von dessen Folgen er sich nie mehr erholte. Die Familie wan- derte nach Dänemark aus, wo Rudi Dutschke am Heiligen Abend 1979 starb. Seine Witwe (drei Kinder, sieben Enkelkinde­r) lebt als deutsche Staatsbürg­erin wieder in Berlin, schreibt Bücher und entwickelt Computersp­iele.

 ?? FOTO: DPA ?? Rudi Dutschke mit seiner Frau Gretchen beim Verlassen von Thanet House in London am 22. Dezember 1970. Die beiden lernten sich in Berlin kennen. Auf Dutschke wurde am 11. April 1968 ein Attentat verübt. An den Spätfolgen starb er am Heiligen Abend 1979...
FOTO: DPA Rudi Dutschke mit seiner Frau Gretchen beim Verlassen von Thanet House in London am 22. Dezember 1970. Die beiden lernten sich in Berlin kennen. Auf Dutschke wurde am 11. April 1968 ein Attentat verübt. An den Spätfolgen starb er am Heiligen Abend 1979...

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