Pfaffs Hof
Aber dann hatte sie mir doch aus dem Futter eines alten Lodenmantels, den wir auf Pfaffs Dachboden gefunden hatten, ein Katzenkostüm genäht.
Barbara guckte bitter. „Wollen die Zwillinge aus uns machen?“
Aber dann mussten wir beide laut lachen, denn wir hatten jetzt auch wieder unsere Schuhe angezogen, flache braune Schnürschuhe, beide.
Barbara knuffte mich, und ich musste glucksen. „Damit kann man so richtig angeben.“
Um halb acht fuhren wir in die Stadtmitte, wo es taghell, stinkig und voller Autos war.
Onkel Maaßen schnauzte Liesel an, die jetzt vorn neben ihm saß. „Man merkt, dass du kein Auto fährst!“
Aber dann fanden wir das Lokal und auch einen Parkplatz am Straßenrand.
Als wir ausstiegen, konnte ich gar nichts mehr sagen. Wir standen direkt am Dom, den ich vom Auto aus gar nicht gesehen hatte. Er war so hoch, dass ich die Turmspitzen nicht erkennen konnte, und obwohl er angestrahlt wurde, war er dunkel und gruselig schön.
„Können wir mal drum herumgehen?“
Aber die anderen achteten nicht auf mich, nicht einmal Mutter.
Sie hatte Onkel Maaßen untergehakt. Vielleicht war sein Bein doch noch nicht wieder richtig gesund.
Im Lokal war es eng, heiß und irgendwie feucht.
Es gab elf Tische, und bis auf einen waren alle besetzt. Leute in feinen Kleidern, die alle mal so richtig angeben wollten. Liesel trug zum schwarzen Rock ihr tabak-goldenes Oberteil, Mutter ihr Pepita-Jäckchenkleid. „Hier muss man schon Wochen im Voraus reservieren“, raunte Liesel, als der Kellner, der einen Frack und eine Serviette über dem Arm trug, uns zu dem freien Tisch führte.
„Für Sie, Frau Zwanziger, wie immer unser allerbester.“
Er zog einen Stuhl hervor, auf dem Liesel Platz nahm, dann lief er zum nächsten Stuhl und nickte Mutter auffordernd zu.
Wir bekamen alle eine Speisekarte mit einem dunkelgrünen Ledereinband, fast so groß wie eine Zeitung, sogar Barbara und ich.
Ich war sehr gespannt, was da wohl alles drinstand, aber Liesel nahm sie uns sofort wieder weg – „Schließlich weiß ich, was hier am besten ist“– und bestellte für uns: Forelle „Müllerin“für sich, Schnitzel „Holsteiner Art“für Mutter, für Onkel Maaßen Rumpsteak mit Kognaksoße, und Barbara und ich sollten den Kinderteller „Hawaii“bekommen.
Dann mussten wir warten.
Der Kellner – „Oberkellner“, verbesserte Liesel mich – brachte die Getränke: drei Gläser helles Bier – „Kölsch“, verbesserte Liesel Onkel Maaßen – und „Fanta“für mich und Barbara. Die war lecker.
Dann warteten wir wieder und warteten.
Mir war schwitzig in der engen Strumpfhose. Barbara kratzte sich heimlich an den Beinen, ihr ging es wohl genauso.
Ich hätte gern die anderen Leute im Lokal beobachtet, aber Tante Liesel redete wie ein Wasserfall: wie sie diesen und jenen vom Fernsehen kennengelernt hatte, dass sie froh wäre, wenn das Haus endlich fertig war, damit sie sich für die netten Abende bei den Fernsehleuten mit einem „Souper“revanchieren könnte.
Vielleicht dachte sie, sie müsste uns unterhalten, weil wir ja ihre Gäste waren.
Dann kam endlich unser Essen, und ich war enttäuscht.
Liesels „Müllerin“war ein gebratener Fisch mit Augen, auf Mutters Schweinefleisch lag ein Spiegelei, und unser „Hawaii“war Hühnerfleisch mit Reis, nur dass auf dem Huhn eine Scheibe Ananas mit einer knallroten Kirsche lag.
Die schob ich weg.
Und guckte mir genau ab, was Liesel beim Essen machte. Die Stoffserviette auffalten und auf den Schoß legen, vor dem Trinken den Mund damit abwischen. Und vorher das Besteck rechts und links an den Tellerrand legen.
Zu Mutter schaute ich nicht hin. Ich wusste, sie würde es genauso machen wie ich, aber ich wollte ihre Flecken nicht sehen.
Schließlich legte Liesel das Besteck ordentlich auf den Teller – das Mahl war beendet – und machte eine Handbewegung ins Nichts.
Der Oberkellner war sofort an ihrer Seite. „Zu Ihrer Zufriedenheit, Frau Zwanziger? Ein kleiner Asbach aufs Haus – wie immer?“
Liesel nickte schon, hob dann aber die Hand und lächelte Mutter milde an. „Was hättest du denn gern, Gerda? Einen Kirschlikör vielleicht?“
Aber Mutter sagte: „Danke, für mich nichts.“
Und da fand ich sie gut.
Onkel Maaßen ging „mal austreten“. „Wir haben ja noch eine lange Fahrt vor uns.“
Barbara sah aus, als wäre sie gar nicht da, aber sie saß noch gerade auf ihrem Stuhl, in ihrer knistrigen Unterwäsche, den Folterstrümpfen und dem rosa Frauenkleid. Genau wie ich.
Und dann fing Mutter an zu flüstern: „Was ist denn los?“
Und Liesel kippte ihren Asbach runter und den von Onkel Maaßen gleich hinterher.
„Er hat mal wieder eine Neue, blutjung diesmal.“
Liesel hickste. „Ihr Schlüpfer passt in eine Streichholzschachtel, sagt er.“
„Ist es was Ernstes?“
„Blödsinn!“Liesel fuhr sich fix über den Mund und schaute nach links und rechts.
Aber im Lokal gab es noch immer nur leises Gebrabbel und Geschwitze.
„Was ist denn mit Thomas?“Mutter.
„Zu grün“, zischelte Liesel. „Mal ganz nett für eine Episode zwischendurch, wenn man’s braucht . . .
Die Kinder müssen ins Bett . . . Die Rechnung, bitte . . . Wim, es wird Zeit!“
Opa und Tante Meta hatten mir eine Geburtstagskarte geschickt, mit Geld drin.
Von Peter kam nichts. Er sollte irgendwo beim Militär sein, aber Mutter und Vater sprachen nie ein Wort über ihn, deshalb gab es ihn die meiste Zeit für mich gar nicht.
Nur von Guste gab es ein Päckchen. Darin war eine Geburtstagskarte mit einem knopfäugigen Rotkehlchen im Schnee und ein Buch von Erich Kästner, „Das doppelte Lottchen“. Es war kein richtiges Kinderbuch, sondern irgendwie auch für Erwachsene – und es war großartig.
(Fortsetzung folgt)