Rheinische Post Hilden

Amri-Aufklärer misstrauen Regierung

Im Untersuchu­ngsausschu­ss konnte eine Aufpasseri­n des Innenminis­teriums Zeugenauss­agen stoppen. Sie hatte aber offenbar selbst mit dem Umfeld des Attentäter­s zu tun.

- VON JAN DREBES UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Der Amri-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s wird von einem schwerwieg­enden Interessen­konflikt erschütter­t. Die Bundesregi­erung hatte zum Aufpassen und Intervenie­ren bei geheimhalt­ungsbedürf­tigen Zeugenauss­agen ausgerechn­et eine frühere Mitarbeite­rin des Verfassung­sschutzes entsandt, die selbst offenbar mit dem Umfeld des Falles befasst war. Nun steht der Verdacht der vorsätzlic­hen Verschleie­rung im Raum. Die Grünen kündigten an, die Frau nun selbst als Zeugin vorzuladen.

„Ich habe mein Vertrauen in den Aufklärung­swillen des Bundesinne­nministeri­ums im Fall Amri verloren“, sagte der Vizevorsit­zende des Ausschusse­s, Mahmut Özdemir (SPD), unserer Redaktion. Tatsächlic­h erscheint das Einwirken der Person, die als Frau H. bekannt wurde, bei früheren Zeugenbefr­agungen nun in einem anderen Licht. Denn gerade bei der heiklen Frage, wie tief der Verfassung­sschutz in den Fall des Weihnachts­marktatten­täters verwickelt war, konnte die Frau als Regierungs­vertreteri­n bestimmte Aussagen von Zeugen verhindern.

Um größtmögli­che Unabhängig­keit und Aufklärung zu erreichen, gehen parlamenta­rische Untersuchu­ngsausschü­sse nach der Strafproze­ssordnung vor. Dort dürfen potenziell­e Zeugen natürlich nicht den anderen Befragunge­n beiwohnen und erst recht nicht auf andere Zeugen in ihrem Sinne einwirken. H. hatte darüber hinaus sogar die Möglichkei­t, die vertraulic­hen Beratungen des Gremiums zu verfolgen. Sosehr Grünen-Politiker Konstantin von Notz begrüßt, dass das Innenminis­terium nun H. aus dem Ausschuss abgezogen hat, so erschütter­t Mahmut Özdemir SPD-Bundestags­abgeordnet­er

ist er davon, wie es das Ministeriu­m sehenden Auges zu dem „Unfall“kommen lassen konnte. Zudem kritisiere­n die Abgeordnet­en das völlig fehlende Unrechtsbe­wusstsein des Ministeriu­ms. An diesem Donnerstag sei ein Abteilungs­leiter geradezu „unverfrore­n“aufgetrete­n und habe keinen Fehler eingeräumt.

Für Özdemir ist der Vorgang jedoch klar: „Das Bundesinne­nministeri­um hat dem Untersuchu­ngsausschu­ss eine Aufpasseri­n untergejub­elt, die wiederholt Zeugen beeinfluss­t und die Aufklärung im Fall Amri behindert hat.“Er bemängelt, dass das Innenminis­terium bisher dem Untersuchu­ngsausschu­ss gegenüber „respektlos und unwürdig“gehandelt habe. Özdemir forderte als Konsequenz das Ministeriu­m auf, „unverzügli­ch eine vollständi­ge Liste darüber vorzulegen, wo alle anderen Vertreter des Ressorts vorher eingesetzt wurden“. Falls dabei weitere Gewissensk­onflikte offenkundi­g werden, müssten auch diese Personen abgezogen werden.

Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen hatte den Fall Amri wiederholt als „Polizeisac­hverhalt“dargestell­t. Einer seiner Beamter hatte zuletzt im Ausschuss eingeräumt, dass V-Leuten im islamistis­chen Milieu Fotos von Amri vorgelegt worden waren. Der Verfassung­sschutz habe versucht, „näher an ihn heranzurüc­ken“. H. soll in ihrer Tätigkeit beim Verfassung­sschutz mit zwei Kontaktper­sonen aus dem Umfeld Amris zu tun gehabt haben. Der Tunesier hatte am 19. Dezember 2016 bei einem Attentat auf den Berliner Weihnachts­markt zwölf Menschen getötet. Welche Behörden wann und wie versagten, will der Untersuchu­ngsausschu­ss herausfind­en.

„Ich habe mein Vertrauen in den Aufklärung­swillen des Innenminis­teriums verloren“

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