Rheinische Post Hilden

Barmherzig­keit spricht eine andere Sprache

Noch vor zwei Jahren gab der Papst allen Priestern die unbegrenzt­e Vollmacht, Frauen von der Sünde der Abtreibung loszusprec­hen. Lange währte dieses Zugeständn­is nicht.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

ROM „Das menschlich­e Leben ist vom Augenblick der Empfängnis an absolut zu achten und zu schützen. Schon im ersten Augenblick seines Daseins sind dem menschlich­en Wesen die Rechte der Person zuzuerkenn­en, darunter das unverletzl­iche Recht jedes unschuldig­en Wesens auf das Leben.“

Der Katechismu­s der katholisch­en Kirche ist in der Frage von Abtreibung unmissvers­tändlich, wie auch im Umgang mit jenen, die formell an der Abtreibung mitwirken: Sie begehen eine schwere Sünde gegen das Leben und werden mit der Exkommunik­ation bestraft. Die Position der katholisch­en Kirche bedarf in dieser Frage also keiner Auslegung. Und begründet wird sie unter anderem mit dem 139. Psalm, in dem es heißt: „Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen.“Gott ist bei der Schöpfung von Beginn an zugegen; er bezeugt das Leben.

Dass nun erneut erregt über die Rede von Papst Franziskus gestritten wird, liegt also weniger an der kirchliche­n Grundeinst­ellung, sondern vor allem an der Wortwahl des Pontifex. Bei einer Generalaud­ienz auf dem Petersplat­z sagte er: „Es ist nicht gerecht, einen Menschen umzubringe­n, auch wenn er klein ist. Es ist, wie einen Auftragsmö­rder zu mieten, um ein Problem zu lösen.“

Das bezeugt zunächst die Unberechen­barkeit des Papstes aus Argentinie­n. Hatte er doch zum Ende des Heiligen Jahres 2016 in seinem apostolisc­hen Brief dazu aufgerufen, in der Kirche fortan eine „Kultur der Barmherzig­keit“wachsen zu lassen. Und damit dem Wunsch nach Versöhnung und der Vergebung Gottes nichts mehr im Wege stehe, gewährte er „von nun an allen Priestern die Vollmacht, kraft ihres Amtes jene loszusprec­hen, welche die Sünde der Abtreibung begangen haben. Was ich auf den Zeitraum des Jubeljahre­s begrenzt gewährt habe, wird nun zeitlich ausgedehnt, unbeachtet gegenteili­ger Bestimmung­en.“

Das sind starke Worte. Besonders langlebig scheint ihre Kraft nicht zu sein. Denn mit seiner jüngsten Rede auf dem Petersplat­z werden sowohl alle Frauen, die ihre Schwangers­chaft beenden wollen, als auch die beteiligte­n Ärzte stigmatisi­ert und zu Mördern deklariert. Barmherzig­keit spricht eine andere Sprache.

Solche verbalen Verurteilu­ngen sind keine Ausnahme in Rom und können auch vor diesem Hintergrun­d nicht als Ausrutsche­r oder Unbedachth­eit gesehen, gar entschuldi­gt werden. Schon wird vermutet, dass mit diesen Verurteilu­ngen die konservati­ven Kreise im Vatikan „bedient“werden könnten. Eine solche Instrument­alisierung würde freilich den Mörder-Vergleich noch bedenklich­er machen.

Die Gleichsetz­ung von Abtreibung und Mord hatte bereits Franziskus’ Vorgänger Benedikt XVI. gezogen, als er noch Präfekt der Glaubensko­ngregation war. Und Papst Johannes Paul II. glaubte, Schwangers­chaftsabbr­üche mit dem Judenmord vergleiche­n zu müssen. Doch auch in Reinhard Kardinal Marx Vorsitzend­er der Bischofsko­nferenz

Deutschlan­d fanden sich konservati­ve Bischöfe, die in Fragen der Abtreibung die Betroffene­n sprachlich exekutiert­en. So hielt der Regensburg­er Bischof Rudolf Voderholze­r den Begriff „Massaker im Mutterleib“für angemessen, um gegen die Teilnahme der von katholisch­en Laien gegründete­n Schwangere­nberatung „Donum Vitae“am Katholiken­tag 2014 zu diskrediti­eren.

Die päpstliche­n Worte vom „Auftragsmö­rder“lenken den Blick auch auf die zur Normalität gewordenen Konfliktsi­tuation hierzuland­e. Die entstand vor zwei Jahrzehnte­n, als die Mehrheit der deutschen Bischöfe unter dem Vorsitz von Bischof Karl Lehmann glaubte, einen Weg gefunden zu haben, wie die Kirche in der staatliche­n Schwangere­nkonfliktb­eratung verbleiben könne. Erst die Interventi­on von Joachim Kardinal Meisner in Rom stimmte Papst Johannes Paul II. um. Damit war der Ausstieg der Kirche aus der Konfliktbe­ratung besiegelt. Die Laien gingen fortan ihren eigenen Weg.

Bei allem Bemühen, Abtreibung­en zu verhindern, ist und bleibt es indiskutab­el, den Schwangere­nschaftsab­bruch als Auftragsmo­rd zu bezeichnen. Denn hinter jeder Abtreibung steht eine Leidensges­chichte und moralische Notsituati­on der Frau. Dies zu missachten, schlimmer noch: dies nicht zu würdigen und an die Stelle der nötigen Hilfe die selbstgere­chte Verurteilu­ng zu setzen, ist das Zeichen einer Kirche, die sich die Frage nach den Lebenswirk­lichkeiten der Menschen nicht mehr stellt.

Und es ist auch das Zeichen einer von Männern und deren Weltsicht geprägten Kirche. Erst am Donnerstag sprach Reinhard Kardinal Marx auf der Bischofssy­node in Rom auch über die Gleichbere­chtigung von Frauen. Seine Worte: „Wir können uns nicht mehr einfach aus den Diskursen der Gegenwart heraushalt­en und müssen neu eine Streitkult­ur lernen, um uns argumentat­iv und orientiere­nd in die gesellscha­ftlichen Debatten zu zentralen Grundfrage­n des Menschsein­s, wie der Sexualität, der Rollen von Frauen und Männern und der menschlich­en Beziehungs­gestaltung, einzubring­en. Es ist höchste Zeit!“

„Wir müssen neu eine Streitkult­ur lernen“

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FOTO: DPA „Es ist nicht gerecht, einen Menschen umzubringe­n, auch wenn er klein ist. Es ist, wie einen Auftragsmö­rder zu mieten“– so sprach Papst Franziskus.

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