Schrei nach Gerechtigkeit
Haben Sie vor zwei Wochen den ARD-Sonntags-Krimi gesehen? Er lief im Rahmen der Themenwoche „Gerechtigkeit“: Ein ungeklärter Mord aus den 1980er Jahren wird neu aufgerollt. Ein junges Mädchen war nach einem Rockfestival vergewaltigt und ermordet worden. Der damals als Hauptverdächtiger Angeklagte wurde freigesprochen. Aber die Mutter des Opfers kann sich auch 30 Jahre später nicht damit abfinden, dass der Mörder ihrer Tochter nicht überführt und bestraft wurde. Mit allen Mitteln bedrängt sie den damaligen Kommissar und jetzigen Chef der Kripo, den Fall nochmals aufzurollen. Dieser gibt schließlich nach, und so stürzen sich zwei Kommissare in die Ermittlungen. Und tatsächlich, es gelingt den beiden, den Mörder ausfindig zu machen: es ist der Hauptverdächtige von damals. Nach dem Freispruch von damals kann er aber für diese Tat nicht mehr belangt werden. Doch die Ermittler schaffen es, dem Verbrecher eine weitere, gleichartige Straftat nachzuweisen, für die er schließlich verurteilt werden kann. Für die Mutter des ermordeten Mädchens ist dies eine Genugtuung, und der Gerechtigkeit war Genüge getan.
Mir ging dieser Film noch einige Zeit nach. Er hinterließ in mir gemischte Gefühle, denn auch die Familie des Täters kam in den Blick. Einerseits ist die Sehnsucht der Mutter nach Gerechtigkeit absolut verständlich. Andererseits, was für die Mutter des ermordeten Mädchens Genugtuung ist, ist für die Familie des Täters der Super-GAU. Seine Frau und seine Kinder müssen die schreckliche Wahrheit über ihren Mann bzw. ihren Vater akzeptieren. Die Familie bricht auseinander.
Der Film konfrontiert den Zuschauer mit einem Mysterium:
Der Schrei nach Gerechtigkeit und dessen Erfüllung kann neue, leidvolle Spuren hinterlassen. Wie viele menschliche Tragödien werden ausgelöst durch diesen Schrei ... wie fallende Dominosteine pflanzt er sich fort, und oft leiden dann wieder andere unschuldige Menschen.
Ich frage mich als Christ: Hätte die Mutter vergeben sollen, um die Familie des Täters zu schonen? Ist das überhaupt möglich, nach alldem, was ihr angetan wurde und was sie ihr ganzes Leben tragen muss? Ich möchte zumindest die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich diese Tragik des menschlichen Lebens eines Tages auflösen wird.
Grund für diese Hoffnung gibt mir das Christkönigsfest, das wir diesen Sonntag feiern. Wir verehren Jesus Christus als den König, ein so ganz anderer König, der für uns alle unschuldig gelitten, Ungerechtigkeiten angenommen und ertragen hat. Am Kreuz hat er sterbend für seine Peiniger gebetet und ihnen verziehen. Ja, er hat sogar dem einen mitgekreuzigten Verbrecher das Paradies verheißen. Seine Gerechtigkeit heißt unbedingte Liebe, die wirkliche Aussöhnung und tiefen Frieden schafft. Und zwar für beide: Für den, der große Schuld auf sich geladen hat und für den, dem unschuldig unsägliches Leid zugefügt wurde.
Ich möchte an diesem Sonntag mit meinen Brüdern und Schwestern Jesus Christus als König verehren und ihn bitten, dass ich seine Liebe wirklich erfahre, auch gerade dann, wenn ich an anderen Menschen schuldig werde oder selbst unschuldig Leid ertragen muss. Und das wünsche ich auch Ihnen.