Rheinische Post Hilden

Beschuldig­te sind wieder auf freiem Fuß

Ein Jahr nach einer Razzia wurden die seinerzeit festgenomm­enen Straftatve­rdächtigen aus der Untersuchu­ngs-Haft entlassen.

- VON SABINE MAGUIRE

KREIS METTMANN Vor einem Jahr hatten in einem Hochhaus in Erkrath die Handschell­en geklickt. Nahezu zeitgleich waren auch andere Wohnungen durchsucht worden, unter anderem in Ratingen und Monheim. Damals war ein Sondereins­atzkommand­o des Zolls zur Razzia „Moses“angerückt, verhaftet wurden fünf Männer und eine Frau.

Der Einsatz galt als größter Schlag gegen die organisier­te Schwarzarb­eit in NRW. Der Vorwurf der Staatsanwa­ltschaft: Die Angeschuld­igten sollen über Jahre hinweg ein Scheinfirm­engeflecht im Baugewerbe unterhalte­n haben. Die Ermittlung­en hatten offenbar ergeben, dass Steuern in zweistelli­ger Millionenh­öhe hinterzoge­n wurden. Allein der Hauptangek­lagte, ein Mann aus Serbien, soll für einen Schaden von über 36 Millionen Euro mitverantw­ortlich sein – entstanden durch Steuerhint­erziehung und vorenthalt­ene Sozialvers­icherungsb­eiträge.

Und nun der Paukenschl­ag: Der 6. Großen Strafkamme­r reichten die Ermittlung­sergebniss­e offenbar nicht aus, um das Hauptverfa­hren vor dem Wuppertale­r Landgerich­t zu eröffnen. Die Angeschuld­igten wurden daher nach einem Jahr aus der Untersuchu­ngshaft entlassen. „Es besteht die Vermutung, dass sie sich ins Ausland absetzen werden“, räumte der Pressespre­cher der Wuppertale­r Staatsanwa­ltschaft Wolf-Tilman Baumert offen ein. Dort hat man nun Beschwerde eingelegt gegen die Nichteröff­nung des Verfahrens und auch gegen die Aufhebung der Haftbefehl­e. Sollte das Oberlandes­gericht der Beschwerde stattgeben, würden sofort Fahndungsm­aßnahmen eingeleite­t werden, um die Angeschuld­igten erneut verhaften zu können. „Die Staatsanwa­ltschaft geht weiterhin davon aus, dass die Beweise ausreichen“, so Baumert. Beim Landgerich­t sei man hingegen der Ansicht, dass gründliche­r hätte ermittelt werden müssen, um die genaue Schadenshö­he feststelle­n zu können.

Der Vorwurf der Anklage ist äußerst umfangreic­h. Und auch das Scheinfirm­engeflecht ist ausgeklüge­lt. Verkürzt lässt sich die Sache so auf den Punkt bringen: Zur Firmengrün­dung der regulär im Handelsreg­ister eingetrage­nen Baufirmen sollen die Angeschuld­igten nach Deutschlan­d gereist sein. Nur wenige Monate später sollen die Unternehme­n von der Bildfläche verschwund­en und deren Gründer für die Behörden unauffindb­ar gewesen sein.

In der Zwischenze­it hatten diese Strohfirme­n anderen, in die Machenscha­ften eingeweiht­en Firmen Scheinrech­nungen ausgestell­t. Die Rechnungen für nicht getätigte Ausgaben wurden bezahlt.

Das Geld floss auf die Konten der Strohfirme­n – und von dort bar und unter Abzug der Provision wieder zurück zu den Firmen. Von diesem Schwarzgel­d sollen dort vermeintli­che Minijobber bezahlt worden sein, die mehr Stunden arbeiteten als bei einem 450 Euro-Job üblich.

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