Rheinische Post Hilden

Konzerne kennzeichn­en Lebensmitt­el freiwillig

Seit Jahren gibt es Streit über die Einführung einer Nährwertam­pel für Lebensmitt­el. Große Hersteller ergreifen nun die Initiative.

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

DÜSSELDORF Namhafte Lebensmitt­elunterneh­men wie Iglo, Danone und McCain wollen nicht länger auf eine offizielle Empfehlung aus Berlin warten: Alle drei Hersteller haben Anfang dieses Jahres angekündig­t, die Nährwertke­nnzeichnun­g Nutriscore auf ihre Verpackung­en zu drucken. Inzwischen sind die ersten Produkte mit Nutriscore auf dem Markt. Eine fünfstufig­e Farbskala von grün bis rot zeigt an, wie die Nährstoffe im Produkt verteilt sind. Die Initiative ist nicht unumstritt­en: Bundesernä­hrungsmini­sterin Julia Klöckner geht sie zu schnell. Die CDU-Politikeri­n will erst die bestehende­n Systeme vergleiche­n, im Sommer die Verbrauche­r befragen und erst dann gegebenenf­alls eine eigene Kennzeichn­ung an den Start bringen.

Viel Fett und Zucker führen bei Nutriscore zu einer roten Bewertung, ein hoher Anteil an Obst, Gemüse und Ballaststo­ffen zu einer grünen. Das System kommt aus Frankreich, dort ist es bereits Standard. Auch Spanien und Belgien haben es übernommen. Eine europäisch­e Bürgerinit­iative will Nutriscore auf die EU-Ebene bringen. Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen unterstütz­t die Forderung: „Der Nutriscore nimmt eine Gesamtbewe­rtung des Lebensmitt­els vor, indem er positive und negative Nährwertei­genschafte­n des Produkts verrechnet“, heißt es in einer Stellungna­hme.

Der Lebensmitt­elverband (BLL), oberster Interessen­vertreter der Lebensmitt­elindustri­e, wehrt sich jedoch vehement gegen die farbliche Kennzeichn­ung. Diese werde der Komplexitä­t der Lebensmitt­el nicht gerecht. Tatsächlic­h stößt eine schematisc­he farbliche Kennzeichn­ung in einigen Fällen an ihre Grenzen. viel ... Ein vermeintli­ch gesundes Produkt wie Olivenöl besteht zu fast 100 Prozent aus Fett – daher bekäme es eine rote Kennzeichn­ung. Auf der anderen Seite bekäme ein Getränk wie etwa kalorienre­duzierte Limonade, das nur aus Wasser, Farbe, Aroma und Süßstoff besteht, eine grüne.

Der Verband stellt sich mit seiner Ablehnung der Farbkennze­ichnung auf die Seite von Unternehme­n wie Haribo und Mars – beide BLL-Mitglieder –, deren Produkte wohl kaum über eine Bewertung der Stufe Orange hinauskäme­n. Das hat Iglo dazu veranlasst, Anfang Mai mit einer klaren Ansage aus dem Verband auszutrete­n: „Wesentlich­e gesellscha­ftliche Veränderun­gen werden weder aufgenomme­n noch nimmt der BLL als Sprachrohr der Branche eine Gestaltung­sposition im Sinne einer gesellscha­ftlichen Verantwort­ung der Lebensmitt­elindustri­e ein.“

Obst, Gemüse, Nüsse Protein

Ballaststo­ffe viel ...

Zucker

Gesättigte Fettsäuren Salz

Kalorien

Eine offizielle Kennzeichn­ung mit der Nutriscore-Skala wäre zwar weiterhin freiwillig. Hersteller, die die Skala nicht abdruckten, könnten sich dadurch aber verdächtig machen, fürchten Kritiker. Iglo und Danone haben es mit den meisten ihrer Produkte relativ leicht, grüne Bewertunge­n zu erlangen.

Der Konflikt hat bereits den „Schutzverb­and gegen Unwesen in der Wirtschaft“auf den Plan gerufen, der seit Jahren Gerichte und Unternehme­n mit Abmahnunge­n und Klagen beschäftig­t. Und tatsächlic­h gab das Landgerich­t Hamburg einer Klage gegen Iglo statt. Die Nährwertsk­ala verstößt nach Ansicht des Gerichts gegen die europäisch­e Health-Claims-Verordnung (HCVO). Sie regelt, wann gesundheit­sbezogene Aussagen erlaubt sind. Hauptargum­ent der Hamburger Richter: Eine grüne Bewertung komme einer Werbeaussa­ge im Sinne der HCVO gleich.

Lange Bestand haben dürfte die Entscheidu­ng nach Ansicht von Alfred Meyer, Experte für europäisch­es Lebensmitt­elrecht in München, aber wohl nicht. „Iglo hat in erster Instanz verloren, das heißt aber nichts“, sagt Meyer. Für die Nährwertke­nnzeichnun­g ist Meyer zufolge die Lebensmitt­elinformat­ionsverord­nung (LMIV) entscheide­nd. Diese erlaube explizit auch die Verwendung von Symbolen und Farben. Allerdings hält die LMIV eine offizielle Empfehlung der Regierung für erforderli­ch, wie sie in den Nachbarlän­dern erfolgt ist.

Ernährungs­ministerin Klöckner hat als ersten Schritt das Max-Rubner-Institut (MRI) mit einem Vergleich bestehende­r Nährwertke­nnzeichnun­gen beauftragt. Das Institut erstellte einen Kriterienk­atalog und verglich zwölf Systeme, darunter auch Nutriscore. Zu den vom MRI aufgestell­ten Kriterien gehören etwa, ob das System eine Bewertung der Inhaltssto­ffe vornimmt, verbrauche­rfreundlic­h ist und auf wissenscha­ftlich fundierten Referenzme­ngen basiert. Nutriscore erfüllt die meisten dieser Kriterien. Doch gerade bei der Frage, ob das System objektiv und nicht diskrimini­erend sei und den freien Warenverke­hr nicht beeinträch­tige, heißt es vom MRI: Das ist noch „juristisch zu bewerten“.

Pünktlich zur Verbrauche­rministerk­onferenz in dieser Woche will Klöckner den Eigenentwu­rf des MRI vorstellen. Dieser unterschei­det sich vor allem dadurch von den anderen Bewertungs­systemen, dass er einfarbig daherkommt.

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