„Rechtsextremismus ist fester Bestandteil in Deutschland“
Die Antisemitismusbeauftragte von Nordrhein-Westfalen fordert eine landesweite Meldestelle für antisemitische Angriffe.
DÜSSELDORF Im Januar hat die Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ihr Amt in der Staatskanzlei angetreten. Im Interview fordert die ehemalige Bundesjustizministerin (FDP) eine landesweite Meldestelle für antisemitische Angriffe und eine Reform des Schulunterrichts.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, sind unsere Schulen für einen erstarkenden Antisemitismus gerüstet? LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER Ich denke, wir brauchen ergänzenden Unterricht zu dem, was bereits besteht. Erinnerungsarbeit und Gedenkstättenbesuche finde ich absolut wichtig. Wir brauchen aber gerade mit Blick auf die Gegenwart eine Ergänzung. Denn Erinnerungen sollen ja helfen, aus ihnen Konsequenzen auf das Heute und Morgen zu ziehen. Das sieht auch das Bildungsministerium so. Und im Wissenschaftsressort habe ich auch mit den Verantwortlichen gesprochen, und auch dort wird an entsprechenden Lehreraus- und -fortbildungen gearbeitet.
Weil antisemitische Übergriffe zunehmen? LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER Ja. Es wird doch sehr viel berichtet, dass Anmachen, herabwürdigende Äußerungen und auch der Ausruf „Du Jude“wieder in den Sprachgebrauch hineingekommen sind. Das wird von manchen unreflektiert, von anderen aber ganz bewusst und gezielt angewendet, und das halte ich für eine Qualitätsveränderung gegenüber früher.
Melden sich auch Betroffene bei Ihnen? LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER Grundsätzlich ja. Mit Sabra (Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit, Anm. d. Red.) gibt es schon eine Stelle in NRW, die sich auch mit Antisemitismus befasst. Ich möchte mit Sabra zusammen erreichen, dass eine grundsätzliche Meldestelle in NRW eingerichtet wird, wie das in Berlin und Bayern schon der Fall ist. Ihr Amtskollege Felix Klein sieht in einer Verrohung der Gesellschaft den Grund für wachsenden Antisemitismus – Sie auch? LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER Es sind auf alle Fälle Schwellen abgesenkt und Hemmnisse gefallen. Wir müssen feststellen, dass wir Antisemitismus nicht in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verorten können. Wir haben diesen alten Antisemitismus, der rassistisch motiviert ist, den es immer in Deutschland gab und gibt und der zu dem schlimmsten Rassismus, Judenhass und Völkerrechtsmorden geführt hat. Der Rechtsextremismus ist leider ein fester Bestandteil in Deutschland und nimmt auch nicht ab. Aber es kommen ein religiös motivierter, islamistischer Antisemitismus und ein mit Israel-Kritik verbundener Antisemitismus hinzu, der sich auch ziemlich aggressiv betätigt. Zusammen führt das dazu, dass wir in der Öffentlichkeit eine radikalisierende Stimmung haben. Deshalb ist es wichtig, dagegen ein öffentliches Klima zu erzeugen, in dem viele sagen: Das finden wir entsetzlich. Unsere Demokratie lebt von der Auseinandersetzung und braucht Demokraten, die sich gegen jede Form von Antisemitismus wenden.