Rheinische Post Hilden

Populisten-Regierung vor dem Fall

Die Koalition aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung in Italien ist so gut wie am Ende. Die EU-Wahl könnte der Auslöser für den finalen Bruch sein.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM In den 73 Jahren ihrer Existenz hatte die Republik Italien 65 Regierunge­n, das entspricht einer durchschni­ttlichen Dauer von etwas über einem Jahr. Angesichts dieser Statistik sind die extremen Spannungen in der derzeitige­n Regierung in Rom nur konsequent. Die Koalition aus linkspopul­istischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega, die seit Juni 2018 im Amt ist, steuert auf den Koalitions­bruch zu. Die EU-Wahl am Sonntag hat den schon länger schwelende­n Konflikt unter den Regierungs­parteien zu einem Lauffeuer angefacht. In Rom wird derzeit spekuliert, wie schnell der Bruch nach der Wahl Wirklichke­it wird.

Nach der österreich­ischen Regierungs­krise, dem im Brexit-Delirium gefangenen Großbritan­nien wäre Italien das nächste europäisch­e Krisenland. Mitglieder der Regierung in Rom nehmen schon seit Tagen kein Blatt mehr vor den Mund, wenn sie den Zustand der Koalition beschreibe­n sollen. Die Stimmung im Kabinett von Premiermin­ister Giuseppe Conte ist schlecht. Eigentlich sollte vor der Wahl noch eine Ministerra­tssitzung stattfinde­n, wegen Streiterei­en kam es dazu aber bislang nicht. Fünf-Sterne-Bewegung und Lega versuchen noch auf der Schlussger­aden vor der Abstimmung am Sonntag die öffentlich­e Meinung auf ihre Seite zu ziehen.

Als „Regierung des Wandels“hatte sich die Exekutive vor einem Jahr den Bürgern präsentier­t. Schon damals bestanden Zweifel, ob zwei politisch so unterschie­dliche Kräfte gemeinsam Politik machen können. Die fremdenfei­ndliche und rechtspopu­listische Lega hat inzwischen der eher auf soziale Belange konzentrie­rten, ebenfalls extrem polarisier­enden Fünf-Sterne-Bewegung bei den Wählern den Rang abgelaufen. Umfragen zufolge kann die von Innenminis­ter Matteo Salvini geführte Lega am Sonntag mit rund 30 Prozent der Stimmen rechnen, Arbeitsmin­ister Luigi Di Maios Sterne mit gut 20 Prozent. Damit hätten sich die Kräfteverh­ältnisse seit der Parlaments­wahl vor einem Jahr beinahe umgekehrt. Am Sonntag finden in Italien auch Kommunalwa­hlen in 3800 Gemeinden statt. Die Abstimmung wird zum Plebiszit über die Populisten-Regierung.

Machtpolit­isch gesehen möchte vor allem die Lega ab Montag Kapital aus dieser neuen Konstellat­ion schlagen. Dazu hat sie, sollten sich die Umfragen als zutreffend erweisen, mehrere Optionen. Entweder fordern Salvini und Co. einen Umbau der Regierung und eine personelle Anpassung der Kräfteverh­ältnisse im Kabinett. Insbesonde­re der bislang von den Fünf Sternen gehaltene Posten des Verkehrs- und Transportm­inisters dürfte begehrt sein, da dieser Minister auch das letzte Wort über die Einfahrt von Schiffen in italienisc­he Häfen hat. Darüber gab es in den vergangene­n Wochen mehrfach Streit in der Koalition. Innenminis­ter Salvini möchte keine Hilfsboote mit Flüchtling­en mehr in Italien einlaufen lassen.

Eine weitere Option für die Lega wäre, energische­r auf die Verabschie­dung von Gesetzespr­ojekten zu drängen. Dazu gehört ein Autonomie-Statut für einige norditalie­nische Regionen, dem Stammland der Lega, Steuersenk­ungen, aber auch ein Sicherheit­sdekret mit hohen Geldstrafe­n für Flüchtling­shelfer, das von den Fünf Sternen blockiert wird. Als letzte Option bliebe der Koalitions­bruch, infolgedes­sen Staatspräs­ident Sergio Mattarella eine Neuwahl ausrufen könnte. Salvini schielt auf ein Mitte-rechts-Bündnis mit Silvio Berlusconi. Weil historisch gesehen die Italiener aber den Verursache­r einer Regierungs­krise bei Wahlen abstrafen, zögert die Lega offenbar. Salvini versichert­e dieser Tage, er wolle keinen Bruch. „Die Regierung stürzt nicht“, behauptet er.

Das römische Szenario gleicht deshalb einem Eiertanz, dessen Finale in den Tagen nach der Europawahl deutlicher werden dürften. Die Aussichten für die Koalition werden jedenfalls nicht besser. Im Herbst muss die Regierung den Haushalt für das Folgejahr aushandeln. Dabei war es im Herbst 2018 bereits zu einem intensiven Streit mit der EU-Kommission gekommen. Die Konjunktur­aussichten sind diesmal verheerend, Italien wird derzeit ein Null-Wachstum prognostiz­iert, die Finanzmärk­te sind angesichts der extrem hohen Staatsschu­lden (132 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es) bereits in Alarmberei­tschaft. Wie die zerstritte­nen Koalitions­partner unter diesen Bedingunge­n produktiv zusammen arbeiten sollen, ist derzeit nicht vorstellba­r.

 ?? FOTO: AFP ?? Demonstran­ten protestier­en in Neapel gegen den Parteichef der rechten Lega, Matteo Salvini.
FOTO: AFP Demonstran­ten protestier­en in Neapel gegen den Parteichef der rechten Lega, Matteo Salvini.

Newspapers in German

Newspapers from Germany