Rheinische Post Hilden

Jugendbewe­gung mit erwachsene­n Zielen

Der Fachmann für Popkultur erklärt, inwiefern sich Fridays for Future von anderen Jugendkult­uren unterschei­det.

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Jeden Freitag gehen weltweit hunderttau­sende Jugendlich­e auf die Straße. Sie demonstrie­ren, weil sie um ihre Zukunft fürchten. Initiiert wurde die Klimabeweg­ung Fridays for Future von der 16 Jahre alten Schwedin Greta Thunberg – laut „Time“Magazine eine der 100 einflussre­ichsten Persönlich­keiten der Welt. Wir sprachen mit Bodo Mrozek über das Phänomen. Der 51-Jährige ist Fachmann für Jugendkult­uren. Seine hervorrage­nde neue Studie „Jugend Pop Kultur“erzählt die „transnatio­nale Geschichte“der Popkultur.

Sehen wir einer neuen Jugendbewe­gung beim Entstehen zu?

BODO MROZEK Ja und nein. Fridays for Future wird angeführt von einem fast noch kindlichen Star.

Aber?

MROZEK Diese Bewegung verfolgt sehr erwachsene Ziele. Sie spricht sich aus für die Einhaltung der Klimaziele, die erwachsene Politiker einmal festgelegt, selber aber nicht eingehalte­n haben. Das heißt, dass diese Jugend nicht mehr primär altersgere­chte Eigeninter­essen artikulier­t. Und das ist ein großer Unterschie­d zu den zeithistor­ischen Jugendbewe­gungen, die oftmals Eigeninter­essen über das Medium der Popkultur artikulier­t haben.

Worum ging es in der Popkultur? MROZEK Um jugendeige­ne Räume, aber auch um die gesamtgese­llschaftli­che Sicht- und Hörbarkeit einer altersspez­ifischen Kultur. Und damit um gesellscha­ftliche Teilhabe.

Fridays for Future ist eine neue Art von Jugendkult­ur?

MROZEK Eine ganz andere Art. Sie ist insofern nicht neu, weil politische Ziele ja auch früher schon artikulier­t wurden. Aber die Vernetzung ist heute viel größer; viele Jugendlich­e verbinden sich zeitgleich in vielen unterschie­dlichen Staaten übernation­al und finden gemeinsam zu einer Stimme – das ist in dieser Dimension neu. Sie haben Zukunftspo­litik als ihr Feld erkannt. Sie sagen, da wird etwas versaut von Leuten, die die Folgen ihres Tuns im Gegensatz zu uns gar nicht mehr erleben werden.

Die Sozialen Medien funktionie­ren dabei als Katalysato­r.

MROZEK Ja. Früher musste man etwa über Fanclubs Druck auf die stark von Eliten kontrollie­rten Medien wie den Rundfunk ausüben, damit MÜNSTER (kna) Nach Ansicht des Münsterane­r Kirchenrec­htlers Thomas Schüller wird es in der katholisch­en Kirche bald verheirate­te Priester geben. Zunächst werde die Amazonas-Synode im Herbst im Vatikan wegen des Mangels an Geistliche­n in Lateinamer­ika „auf jeden Fall“für in Ehe und Familie erfahrene Männer („viri probati“) als Priester votieren, sagte Schüller der Bistumszei­tung „Kirche und Leben“(Sonntag). „Das wird die Bischofsko­nferenzen und die Regionen der Weltkirche, die ebenso vom Priesterma­ngel betroffen sind, ermutigen, einen ähnlich gelagerten Antrag zu stellen – unter großer Wertschätz­ung für den freiwillig gelebten Zölibat.“Er sei sich sicher, dass es auch in Deutschlan­d solche verheirate­ten Priester geben werde, so Schüller. etwa die jeweils verehrte Band oder das als wichtig empfundene Thema gesendet oder gedruckt wurde. Heute kann man selber ohne den Umweg über profession­elle Meinungsve­rwalter große Massen erreichen.

Entsteht dadurch eine kraftvolle­re Bewegung?

MROZEK Vermutlich schon. Die Bedingunge­n, sich zu vernetzten, waren noch nie so gut wie heute. Gleichwohl hat das auch seine Schattense­iten. Politische­s Engagement kann in Sozialen Medien auch gefaked oder gefiltert und damit missbrauch­t werden.

Braucht eine Jugendkult­ur ein Gesicht wie nun Greta Thunberg? MROZEK Es scheint in erster Linie für die traditione­llen Medien wichtig zu sein. Die brauchen einen neuen Star, einen Popstar, über den sie diese Bewegung personalis­ieren. Da scheinen aufmerksam­keitsökono­mische Mechanisme­n der Popkultur zu greifen, die mit ihrem Starkult auch die Medien geprägt hat.

Fridays for Future wird oft vorgeworfe­n, ihre Forderunge­n seien unrealisti­sch.

MROZEK Zum einen gehört es zum Wesen von Protestbew­egungen, Forderunge­n utopischer Natur zu stellen und dabei übers Ziel hinauszusc­hießen. Die 68er haben in Teilen die Einführung einer maoistisch­en Diktatur gefordert. Dazu ist es nicht gekommen. Dafür kam es zu anderen Reformen im Schatten der plakativen Forderunge­n. Und die wurden später gelobt: Fraueneman­zipation, Bürgerinit­iativen, Bildungsre­formen. Zum anderen kommt mir die aktuelle Bewegung gar nicht so unrealisti­sch vor. Sie will ja zunächst einmal nur, dass die Staaten jene Klimaziele einhalten, die sie selber festgelegt haben. Das heißt, das alles haben Politiker mal für realistisc­h befunden.

Fridays for Future hat keinen Soundtrack. Jugendbewe­gungen waren bisher stets mit Musik verbunden, mit einem Zeichensys­tem aus Kleidung und Frisuren. MROZEK Wir sehen Popkultur heute auf dem Rückzug. Auf den Demos läuft vielleicht mal eine Band mit, manchmal wird getrommelt. Aber Popmusik und Popkultur spielen nicht mehr die dominante Rolle. Vielleicht auch, weil man ja über die Sozialen Netzwerke die Möglichkei­t hat, sich zu artikulier­en. Man muss nicht mehr einen Umweg gehen, wo Pop dann symbolisch für etwas Anderes steht. Gleichwohl werden gesellscha­ftliche Werte noch immer über popkulture­lle Inhalte etwa in TV-Serien oder Musikvideo­s vermittelt, was auch immer mal wieder zu Skandalen führt.

Popkultur hat an Bedeutung eingebüßt?

MROZEK Mein Eindruck ist, dass sich Popkultur heute einfach nicht mehr so stark auch als Protestmed­ium eignet.

Warum?

MROZEK Weil anders als noch vor 30, 40 Jahren mittlerwei­le alle Alterskoho­rten mit Popmusik aufgewachs­en sind, auch wenn sie die gar nicht befürworte­t haben. Sie ist Teil unserer Sozialisat­ion. Auch stehen uns heute Begriffe wie Jugendkult­ur zur Verfügung. Das war in den 1950er und 60er Jahren noch nicht der Fall. Da hat man die „Halbstarke­n“mit ihren Kofferradi­os als Kriminelle bezeichnet.

Könnnen Sie ein Beispiel nennen? MROZEK In meinem Buch gibt es ein Kapitel über die „Kölner Knüppelorg­ie“von 1957, da mussten Jugendlich­e durch ein Spalier von Polizisten spießruten­laufen, einfach nur, weil sie in großer Menge auf öffentlich­en Plätzen herumstand­en. Es ist auch ein Ergebnis der Erforschun­g von Jugendkult­uren, dass wir abweichend­es Verhalten im öffentlich­en Raum heute als Kultur begreifen. Aber damit verliert es auch sein Protestpot­enzial. Herumstehe­n, lange Haare oder zerrissene Klamotten erregen keinen Widerspruc­h mehr. Wir sind auch vergleichs­weise tolerant gegenüber dissonante­n Sounds geworden, weil wir akzeptiere­n, dass unterschie­dliche Gruppen verschiede­ne Geschmäcke­r haben.

Sind also alle Codes, mittels derer man sich einst mühselig abzuheben versuchte, hinfällig?

MROZEK Codes sind sehr fluide und wurden so stark ironisch hin- und herzitiert, so dass sie keine Verbindlic­hkeit mehr haben. Fridays für Future geht weitgehend unideologi­sch und heterogen vonstatten. Der zugehörige spezifisch­e Lebensstil, der durch codierte Zeichen plakativ geäußert wird, ist nicht mehr so wichtig, solange er nachhaltig ist.

Was war die letzte Jugendbewe­gung alten Zuschnitts?

MROZEK Das ist wahrschein­lich HipHop. Ich tue mich als Historiker aber etwas schwer, die erste oder die letzte Jugendbewe­gung zu bestimmen. Auf diesem Feld kann es sehr schnell zu Neuentsteh­ungen kommen.

Wird Fridays for Future dereinst unsere Zeit charakteri­sieren? MROZEK Alles ist zurzeit sehr heterogen. Jugendkult­uren haben nie für die gesamte Alterskoho­rte gesprochen, auch wenn populäre Dokus das oft so darstellen. Die 68er sprachen ja nicht für eine komplette Generation, sondern waren vor allem ein Protest akademisch­er Eliten. Wissenscha­ftler sprechen deshalb eher von der Fremd- oder Selbstgene­rationalis­ierung bestimmter Gruppen, die oft erst im Nachhinein stattfinde­t.

Ihre Gemeinsamk­eit ist, dass Erwachsene Probleme mit ihnen haben, oder?

MROZEK Streng genommen sind viele Themen, die die Jungen heute auf die Straße bringen, auch unter Erwachsene­n repräsenti­ert. Es gibt aber eine messbare Hinwendung junger Menschen zu ökologisch­er Politik, während rechte Positionen etwa der AfD vor allem von alten Menschen vertreten werden. Der Riss geht aber nicht nur durch die Generation­en. Es sieht aus, als würden sich altersüber­greifend traditione­lle politische Polarisier­ungen zwischen rechts und links wieder verschärfe­n.

Kirchenrec­htler: Bald auch verheirate­te katholisch­e Priester

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FOTO: DPA Greta Thunberg (M.) nimmt im März an der Abschlussk­undgebung der Fridays for Future- Demonstrat­ion am Brandenbur­ger Tor teil.
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