56 Jahre als Bürgermeister
Von seinem Wohnzimmer aus hat er seine Gemeinde regiert – seit 1963. Josef Rüddel, Bürgermeister von Windhagen im rheinland-pfälzischen Kreis Neuwied, ist eine Institution. Nun endet seine Ära.
WINDHAGEN (dpa) Er hat den ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer mit Kartoffeln beliefert und ist auf der Autobahn 3 noch mit dem Pferdefuhrwerk gefahren. 1963, im letzten Amtsjahr Adenauers, wurde Josef Rüddel zum Bürgermeister von Windhagen im Kreis Neuwied gewählt. Seitdem hat er sein Dorf, das direkt an der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen liegt, ununterbrochen politisch geleitet.
56 Jahre lang war er im Amt, als ehrenamtlicher Ortsbürgermeister stets von seinem Wohnzimmer in seinem weißen alten Fachwerkhaus mit den gediegenen Möbeln aus tätig. „Ich hatte 14 Wahlen, immer mit Gegenkandidaten, genau habe ich das gar nicht gezählt“, sagt der 94-jährige Christdemokrat. Beim Deutschen Städte- und Gemeindebund in Berlin heißt es: „Er ist sehr wahrscheinlich der dienstälteste und auch der älteste Bürgermeister Deutschlands.“
Nun naht Rüddels letzte Amtshandlung: die Betreuung der Kommunalwahl an diesem Sonntag in seiner Gemeinde. Er selbst tritt dabei aber nicht mehr an, der Ruhestand ruft.
Weiße Haare, wache, blaue Augen, graues Hemd – Rüddel erzählt lebendig von früheren Lebensstationen: 1944 war er als Soldat der Wehrmacht in Polen, geriet dort in Kriegsgefangenschaft und floh Ende Mai 1945 aus einem fahrenden Zug. Zehn Jahre später wurde er dann als 30-jähriger Landwirt in den Gemeinderat von Windhagen im Westerwald gewählt.
Seinerzeit hat er auch Adenauer mit Kartoffeln an dessen nahem Wohnort Rhöndorf in Nordrhein-Westfalen versorgt: „Adenauer hat mich mit „Guten Morgen“begrüßt, ist aber auch schon frühmorgens abgeholt worden.“Rüddel fährt fort: „In Windhagen gab es damals erst zwei oder drei Autos. Ich war noch mit einem Pferdefuhrwerk unterwegs.“Damit sei er auch auf der schon in der Zeit des Nationalsozialismus gebauten Autobahn 3 gefahren.
Diese wichtige Autobahn bescherte der direkt angrenzenden Gemeinde Windhagen in der Nachkriegszeit einen Aufschwung. Bedeutende Firmen siedelten sich an dem verkehrsgünstigen Standort an, auch heute noch sprudelt die Gewerbesteuer in der schuldenfreien Ortsgemeinde. Inzwischen sind es laut Rüddel deutlich mehr als 20 Millionen Euro pro Jahr. Der ehrenamtliche Bürgermeister sagt verschmitzt lächelnd: „Wir sind zufrieden. Wir müssen nicht zur Sparkasse oder Raiffeisenbank gehen, wir haben eigentlich eine eigene Bank.“
1970 sind Windhagen und die Nachbargemeinde Rederscheid zusammengelegt worden. Die gesamte Einwohnerzahl hat sich laut Rüddel seit seinem Amtsbeginn auf rund 4500 ungefähr verdreifacht. Es gibt zahlreiche schmucke Wohnhäuser, eine Grundschule, zwei Kindergärten, ein Geschäft und zwei Ärzte.
Noch-Bürgermeister Rüddel ist dreifacher Vater, siebenfacher Großvater und dreifacher Urgroßvater. Seine Frau Margarethe, die er liebevoll „das Gretchen“nannte, ist 2017 gestorben, nach mehr als sechs Jahrzehnten Ehe.
80-, 85-, 90-Jährigen und noch älteren Mitbürgern gratuliert Rüddel als Bürgermeister stets persönlich zum Geburtstag – die meisten Jubilare sind also jünger als er. Die meisten Einwohner von Windhagen haben nie einen anderen Bürgermeister kennengelernt. So geht es auch Rüddels 47-jährigem Stellvertreter Martin Buchholz (CDU). Dieser würde ihn gerne beerben, wirft seinen Hut für die Nachfolge in den Ring – und sagt: „Ich würde mit sehr großem Respekt an diese Aufgabe herangehen. Das ist schon eine Lebensleistung.“