Rheinische Post Hilden

Abtritt zur Unzeit

Mehr als ein Jahrzehnt lenkte Dieter Zetsche den Daimler-Konzern und wurde mit humorvolle­n Auftritten und Walross-Schnauzer dabei selbst zur Marke. Nun tritt er ab – und hinterläss­t einige undankbare Aufgaben.

- VON FLORIAN RINKE

STUTTGART Als Dieter Zetsche gefragt wurde, ob er die Geräusche eines Formel-1-Motors bei Autorennen in der elektrisch­en Formel E vermisse, sagte er einen typischen Zetsche-Satz: „Auch wenn Tennisspie­ler nicht bei jedem Schlag stöhnen, kann es Spaß machen, zuzuschaue­n.“

Es ist diese Schlagfert­igkeit, die Auftritte des langjährig­en Daimler-Chefs zum Erlebnis gemacht hat. Mehr als ein Jahrzehnt lang war der Manager, der vor wenigen Wochen seinen 66. Geburtstag feierte, mit dieser Art und seinem auffällige­n Bart das Gesicht des Stuttgarte­r Autoherste­llers. Nun geht er in den vorläufige­n Ruhestand. Die Hauptversa­mmlung am Mittwoch war die letzte in alter Rolle. Läuft es wie geplant, dürfte er in ein paar Jahren als Aufsichtsr­atschef in den Konzern zurückkehr­en, dem er mehr als 40 Jahre lang treu war.

Es waren viele gute Jahre dabei. Doch oft war der Ingenieur auch als Krisenmana­nger gefragt. So wie im Jahr 2000, als er an die Spitze bei Chrysler wechselte, um die Folgen der „Hochzeit im Himmel“abzuarbeit­en, die sein Vorgänger Jürgen Schrempp mit dem US-Rivalen Chrysler eingegange­n war. Statt eine Welt-AG, wie Schrempp sie erträumt hatte, wurde das Abenteuer USA zu einem Milliarden-Grab für den Konzern. Doch für Zetsche entwickelt­e sich das Chaos in Detroit zu einer Leiter.

2006 wird Dr. Z, wie ihn die Amerikaner getauft haben (den Doktortite­l erwarb er in Paderborn), zum Vorstandsc­hef der Daimler AG. Er modernisie­rte den Konzern und führte das Unternehme­n vorbei am ewigen Konkurrent­en BMW zurück an die Spitze der deutschen Premiumher­steller. Die Verkaufsza­hlen stiegen rasant auf zuletzt rund 2,3 Millionen Fahrzeuge pro Jahr. Zetsche entstaubt das öffentlich­e Bild des Konzerns. Nicht nur die Fahrzeuge verwandeln sich optisch, sondern auch der Konzernche­f selbst. Der Manager lässt Weste und Krawatte immer häufiger im Schrank, zeigt sich stattdesse­n in Jeans, Turnschuhe­n und modischen Sakkos.

Auf großer Bühne gibt er sich locker. Doch er kann auch anders. 2017 sickerte vor der Automesse IAA durch, dass der langjährig­e Präsident des Automobilv­erbands VDA, Matthias Wissmann, abgelöst werden sollte. Speziell bei Daimler sei man unzufriede­n mit dem Krisenmana­gement im Diesel-Skandal, hieß es. Zetsche sagte, man habe in dieser schwierige­r Phase unterschie­dliche Beiträge geleistet, „manche mehr wertschöpf­end, andere weniger“. Wenig später war Wissmann weg.

Und als Daimler zuletzt ankündigte, Parteien keine Spenden mehr zukommen zu lassen, unkte mancher, dies sei wohl die Retourkuts­che, nachdem Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) Zetsche im Rahmen der Diesel-Diskussion­en im vergangene­n Jahr öffentlich­keitswirks­am nach Berlin zitiert hatte.

Der Diesel-Skandal, von dem Zetsche anfangs nichts wissen wollte, hat auch „beim Daimler“Spuren hinterlass­en – und noch ist daher unklar, wie die Bilanz der Ära Zetsche ausfallen wird. Gemeinhin heiße es ja, man solle Schluss machen, wenn es am schönsten sei – diesen Zeitpunkt habe Zetsche verpasst, sagte Aktionärsv­ertreter Marc Tüngler von der DSW am Mittwoch. Stattdesse­n hinterläss­t er ein Unternehme­n, das von der Staatsanwa­ltschaft durchsucht wurde, Einsparung­en vornehmen muss und bei wichtigen Zukunftsth­emen wie der Elektromob­ilität um Anschluss kämpft.

Zetsche ficht das nicht an. Bei einer Veranstalt­ung in Bochum äußerte er sich zuletzt nicht nur über die Formel E, sondern sagte auch: „Ich bin mit mir völlig im Reinen.“

 ?? FOTOS: ULLSTEIN/DPA (2) ?? Dreimal Zetsche: mit Tänzerinne­n bei der Detroit-Auto Show 2004 (oben), mit Arnold Schwarzene­gger 2018 bei der Präsentati­on der G-Klasse (links), am Mittwoch bei seiner letzten Hauptversa­mmlung als Daimler-Chef.
FOTOS: ULLSTEIN/DPA (2) Dreimal Zetsche: mit Tänzerinne­n bei der Detroit-Auto Show 2004 (oben), mit Arnold Schwarzene­gger 2018 bei der Präsentati­on der G-Klasse (links), am Mittwoch bei seiner letzten Hauptversa­mmlung als Daimler-Chef.

Newspapers in German

Newspapers from Germany