Deutschland schielt aufs Halbfinale
Das Eishockey-Team spielt bei der WM im Viertelfinale gegen Tschechien – und glaubt an seine Chance.
BRATISLAVA Am Abend nach dem vorerst letzten Coup gab es ein gemütliches Essen in der Altstadt von Kosice. Im historischen Viertel der sonst mausgrauen und mit Plattenbauten überzogenen Arbeiterstadt im tiefsten Osten der Slowakei ließen es sich die Spieler der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft gut gehen. Sie hatten zuvor ihre Hausaufgabe bei der Weltmeisterschaft mit Bravour erledigt, gegen die starken Finnen überraschend 4:2 gewonnen und sich auf Platz drei der Gruppe vorgeschoben – noch vor das Starensemble der USA.
„Wir haben beim Essen die anderen Spiele geschaut und gerechnet, gegen wen es wohl gehen würde“, sagt Routinier Yannic Seidenberg. Russland, Schweden und Tschechien standen zur Auswahl. Da jedoch die Kanadier früh gegen die USA führten und die starken Russen die auf Papier kaum minder talentierten Schweden völlig demontierten, war schnell klar: Deutschland wird Dritter und geht Turnierfavorit Russland aus dem Weg. Die Tschechen werden am Donnerstag (20.15 Uhr), in Bratislava der nächste Gegner sein. „Ich denke, die meisten Spieler waren zufrieden damit, dass es die Tschechen geworden sind“, betont Seidenberg mit kaum verhohlener Erleichterung.
So machte sich der DEB-Tross am Mittwoch wohlgelaunt auf die fünfstündige Zugfahrt quer durch die Republik. Weg aus der dem Namen alle Ehre machenden Steel-Arena in Kosice mit unzähligen Stahltreppen, hinein in die wunderbar enge und steile Halle der Hauptstadt Bratislava. Hier wird am Donnerstag auf Superstar Leon Draisaitl und seine Kollegen ein Hexenkessel warten. Denn Bratislava ist während der WM die inoffizielle Hauptstadt Tschechiens: Die Turnier-Organisation hatte Gastgeber Slowakei mit Absicht in die kleinere Halle nach Kosice geschickt, um in Bratislava mit dem Nachbarstaat Tschechien ein zweites „Heimteam“zu etablieren. Die Fans nahmen die Einladung dankend an – und peitschten ihr Team von Sieg zu Sieg.
Die deutsche Mannschaft wird einen sehr guten Tag brauchen, um die mit zwölf Akteuren aus der nordamerikanischen NHL verstärkten Tschechen zu schlagen. Doch angesichts der historisch besten Gruppenphase mit fünf Siegen in sieben Spielen sowie der vorzeitigen Qualifikation für Olympia 2022 kann das Team von Bundestrainer Toni Söderholm mit großem Selbstvertrauen in die K.o.-Runde gehen.
Selbstvertrauen, das der Trainer seinen Schützlingen immer wieder einimpft. „Wir haben jetzt keine Angst. Wir glauben an uns, genau so wie Toni an uns glaubt“, sagt Kapitän Moritz Müller. „Vor allem hat er den Mut, zu sagen: Ich möchte mit Deutschland Eishockey spielen. Es war die richtige Entscheidung des Verbandes, auf jemanden zu setzen, der uns auch gegen große Nationen alles zutraut.“
Tatsächlich baut Söderholm den von Vorgänger Marco Sturm eingeschlagenen Weg konsequent aus. Er fördert junge Talente wie Ausnahmeverteidiger Moritz Seider (18) und Markus Eisenschmid (24, beide Mannheim). Unter ihm will das Nationalteam selbst die Scheibe haben und das Spiel machen, nicht nur verteidigen. Das kann durchaus mal grandios in die Hose gehen, wie beim 1:8 gegen Kanada. Doch in den Partien gegen die USA (1:3) und Finnland (4:2) bewies sein Team, zeitweise auch spielerisch mit den Großen mithalten zu können.
Zudem kann die Mannschaft die gesammelten Erkenntnisse aus der Vorrunde im Viertelfinale sofort umsetzen. Ein frühes Gegentor, wie beim Debakel gegen Kanada, wäre auch gegen die offensivstarken Tschechen tödlich. „Wir müssen die Partie lange offenhalten“, weiß Yannic Seidenberg. „Außerdem wird es auf die Torhüterleistung ankommen:“Sollte Philipp Grubauer (Colorado Avalanche, NHL) ähnlich stark halten wie gegen die Finnen, ist einiges drin. „Vorne haben wir schließlich Ausnahmekönner, die ein Spiel entscheiden können“, betont Seidenberg.
Damit ist vor allem Leon Draisaitl gemeint. Der Stürmerstar der Edmonton Oilers wurde vor dem Finnland-Spiel ein wenig von Trainer Söderholm gekitzelt, als dieser meinte, der Angreifer könne ruhig auch mal ein wenig defensiv arbeiten. Gleichzeitig riss Söderholm die Sturmreihe Draisaitls mit seinen Jugendfreunden Dominik Kahun (Chicago Blackhawks) und Frederik Tiffels auseinander. Mit Erfolg: Draisaitl zeigte gegen Finnland sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung seine mit Abstand stärkste Leistung des Turniers.
Und das macht der ganzen Mannschaft Mut. „Wir denken auf jeden Fall, dass die Tschechen für uns machbar sind“, sagt Kapitän Müller. Und selbst falls es doch schiefgehen sollte: Der Nutzen, den das Nationalteam aus dieser Weltmeisterschaft ziehen kann, ist langfristig sicherlich Gold wert.