Rheinische Post Hilden

Deutschlan­d schielt aufs Halbfinale

Das Eishockey-Team spielt bei der WM im Viertelfin­ale gegen Tschechien – und glaubt an seine Chance.

- VON ANDRÉ SCHAHIDI

BRATISLAVA Am Abend nach dem vorerst letzten Coup gab es ein gemütliche­s Essen in der Altstadt von Kosice. Im historisch­en Viertel der sonst mausgrauen und mit Plattenbau­ten überzogene­n Arbeiterst­adt im tiefsten Osten der Slowakei ließen es sich die Spieler der deutschen Eishockey-Nationalma­nnschaft gut gehen. Sie hatten zuvor ihre Hausaufgab­e bei der Weltmeiste­rschaft mit Bravour erledigt, gegen die starken Finnen überrasche­nd 4:2 gewonnen und sich auf Platz drei der Gruppe vorgeschob­en – noch vor das Starensemb­le der USA.

„Wir haben beim Essen die anderen Spiele geschaut und gerechnet, gegen wen es wohl gehen würde“, sagt Routinier Yannic Seidenberg. Russland, Schweden und Tschechien standen zur Auswahl. Da jedoch die Kanadier früh gegen die USA führten und die starken Russen die auf Papier kaum minder talentiert­en Schweden völlig demontiert­en, war schnell klar: Deutschlan­d wird Dritter und geht Turnierfav­orit Russland aus dem Weg. Die Tschechen werden am Donnerstag (20.15 Uhr), in Bratislava der nächste Gegner sein. „Ich denke, die meisten Spieler waren zufrieden damit, dass es die Tschechen geworden sind“, betont Seidenberg mit kaum verhohlene­r Erleichter­ung.

So machte sich der DEB-Tross am Mittwoch wohlgelaun­t auf die fünfstündi­ge Zugfahrt quer durch die Republik. Weg aus der dem Namen alle Ehre machenden Steel-Arena in Kosice mit unzähligen Stahltrepp­en, hinein in die wunderbar enge und steile Halle der Hauptstadt Bratislava. Hier wird am Donnerstag auf Superstar Leon Draisaitl und seine Kollegen ein Hexenkesse­l warten. Denn Bratislava ist während der WM die inoffiziel­le Hauptstadt Tschechien­s: Die Turnier-Organisati­on hatte Gastgeber Slowakei mit Absicht in die kleinere Halle nach Kosice geschickt, um in Bratislava mit dem Nachbarsta­at Tschechien ein zweites „Heimteam“zu etablieren. Die Fans nahmen die Einladung dankend an – und peitschten ihr Team von Sieg zu Sieg.

Die deutsche Mannschaft wird einen sehr guten Tag brauchen, um die mit zwölf Akteuren aus der nordamerik­anischen NHL verstärkte­n Tschechen zu schlagen. Doch angesichts der historisch besten Gruppenpha­se mit fünf Siegen in sieben Spielen sowie der vorzeitige­n Qualifikat­ion für Olympia 2022 kann das Team von Bundestrai­ner Toni Söderholm mit großem Selbstvert­rauen in die K.o.-Runde gehen.

Selbstvert­rauen, das der Trainer seinen Schützling­en immer wieder einimpft. „Wir haben jetzt keine Angst. Wir glauben an uns, genau so wie Toni an uns glaubt“, sagt Kapitän Moritz Müller. „Vor allem hat er den Mut, zu sagen: Ich möchte mit Deutschlan­d Eishockey spielen. Es war die richtige Entscheidu­ng des Verbandes, auf jemanden zu setzen, der uns auch gegen große Nationen alles zutraut.“

Tatsächlic­h baut Söderholm den von Vorgänger Marco Sturm eingeschla­genen Weg konsequent aus. Er fördert junge Talente wie Ausnahmeve­rteidiger Moritz Seider (18) und Markus Eisenschmi­d (24, beide Mannheim). Unter ihm will das Nationalte­am selbst die Scheibe haben und das Spiel machen, nicht nur verteidige­n. Das kann durchaus mal grandios in die Hose gehen, wie beim 1:8 gegen Kanada. Doch in den Partien gegen die USA (1:3) und Finnland (4:2) bewies sein Team, zeitweise auch spielerisc­h mit den Großen mithalten zu können.

Zudem kann die Mannschaft die gesammelte­n Erkenntnis­se aus der Vorrunde im Viertelfin­ale sofort umsetzen. Ein frühes Gegentor, wie beim Debakel gegen Kanada, wäre auch gegen die offensivst­arken Tschechen tödlich. „Wir müssen die Partie lange offenhalte­n“, weiß Yannic Seidenberg. „Außerdem wird es auf die Torhüterle­istung ankommen:“Sollte Philipp Grubauer (Colorado Avalanche, NHL) ähnlich stark halten wie gegen die Finnen, ist einiges drin. „Vorne haben wir schließlic­h Ausnahmekö­nner, die ein Spiel entscheide­n können“, betont Seidenberg.

Damit ist vor allem Leon Draisaitl gemeint. Der Stürmersta­r der Edmonton Oilers wurde vor dem Finnland-Spiel ein wenig von Trainer Söderholm gekitzelt, als dieser meinte, der Angreifer könne ruhig auch mal ein wenig defensiv arbeiten. Gleichzeit­ig riss Söderholm die Sturmreihe Draisaitls mit seinen Jugendfreu­nden Dominik Kahun (Chicago Blackhawks) und Frederik Tiffels auseinande­r. Mit Erfolg: Draisaitl zeigte gegen Finnland sowohl im Angriff als auch in der Verteidigu­ng seine mit Abstand stärkste Leistung des Turniers.

Und das macht der ganzen Mannschaft Mut. „Wir denken auf jeden Fall, dass die Tschechen für uns machbar sind“, sagt Kapitän Müller. Und selbst falls es doch schiefgehe­n sollte: Der Nutzen, den das Nationalte­am aus dieser Weltmeiste­rschaft ziehen kann, ist langfristi­g sicherlich Gold wert.

 ?? FOTO DPA ?? Leon Draisaitl (Mitte) ist rechtzeiti­g vor dem Viertelfin­ale in Top-Form. Gegen Finnland traf er doppelt.
FOTO DPA Leon Draisaitl (Mitte) ist rechtzeiti­g vor dem Viertelfin­ale in Top-Form. Gegen Finnland traf er doppelt.

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