Rheinische Post Hilden

Als der Wagen nicht kam

- Von Manfred Lütz und Paulus van Husen

Ich begann meinen Vortrag mit einem erklärende­n Hinweis über die Vorgeschic­hte des Göring’schen Entwurfes, den ich als nebensächl­ich in die schriftlic­he Vortragsno­tiz nicht mitaufgeno­mmen hatte. Ich hatte nämlich herausbeko­mmen, dass der unmittelba­re Anlass zu Görings seltsamem Plan die Absicht war, in seine Verfügungs­gewalt den Besitz der Hannoversc­hen Klosterkam­mer zu bringen, die das säkularisi­erte Kirchenver­mögen in Hannover für kulturelle Zwecke anerkannt vorbildlic­h verwaltete. Kaum hatte ich das Wort „Klosterkam­mer“ausgesproc­hen, als Keitel mit rotem Kopf erregt auf den Tisch schlug und zu schimpfen begann. Zuerst hatte ich geglaubt, er sei so böse, weil ich vielleicht zu deutlich Kritik an Göring hatte durchblick­en lassen. Dann merkte ich aber bald, dass nicht ich, sondern die Klosterkam­mer Gegenstand seines Zornes war, dem er in deutlichen Kasernenho­fausdrücke­n in folgendem Sinne Lauf ließ: „Ich habe doch im Hannoversc­hen meinen Besitz und den wollte ich durch Ankauf eines der Klosterkam­mer gehörenden Waldstücks arrondiere­n. Diese Leute weigern sich aber, mir den Wald zu verkaufen. Ich brauche ihn aber und wie soll ich sonst mein Geld anlegen.“Letzteres bezog sich wohl darauf, dass er nach der bei den Offizieren verbreitet­en Ansicht von Hitler einen Scheck über 150.000 Mark als Dotation erhalten hatte, für die natürlich eine für den Einheitswe­rt gekaufte Waldparzel­le eine gute Anlage gewesen wäre, denn Sachwerte gab niemand mehr aus der Hand, nicht einmal die Klosterkam­mer.

Merkwürdig ist es zunächst, dass der oberste Heerführer in einem

über das Schicksal der Welt entscheide­nden Krieg sich überhaupt mit solchen Nebensächl­ichkeiten wie diesem Führererla­ss befasst. Es deutet eben auf Mittelmaß, wenn man alle Dinge selbst entscheide­n will. Erstaunlic­h an dem Zornesausb­ruch ist der Umstand, dass ein Feldmarsch­all sich einem ihm kaum bekannten kleinen Untergeben­en gegenüber so rückhaltlo­s offenbarte mit einer Gesinnung, die so wenig dem entsprach, was man früher von einem preußische­n General erwartet hätte. Noch seltsamer ist der Widerspruc­h zu dem seitens des in der Nebenbarac­ke hausenden Führers als Dogma verkündete­n Satz: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“Anderseits war der Gedanke trostvoll, wie wenig von der nationalso­zialistisc­hen Phraseolog­ie in diesen Mann eingedrung­en war und wie wenig er sich, jedenfalls unter vier Augen, bemühte, der Phraseolog­ie zu entspreche­n. Verständig­er, ererbter bäuerliche­r Erwerbssin­n, selbst wenn er in so tragikomis­cher Form zum Ausdruck kommt, ist besser als die Vortäuschu­ng irrig gegründete­r Tugenden. Keitel war eben kein Feldherr, auch kein über dem Getriebe der Welt stehender vornehmer Herr, sondern ein durchaus brauchbare­r und tüchtiger Mann von gutem Mittelmaß, der auch keine unmenschli­chen Untugenden zeigte. Er wäre ein guter Regimentsk­ommandeur oder noch besserer Landwirt geworden, wenn er nicht in die diabolisch­en Fänge Hitlers geraten wäre, der seine menschlich­en Schwächen für seine Ziele ausnutzte. Das Nürnberger Urteil gegen ihn war Mord, denn wenn man es schon für zulässig halten sollte, besiegte Generale durch ebenfalls mit Untaten befleckte Sieger aufhängen zu lassen, so doch keinesfall­s nur deshalb, weil sie geistig nicht den Anforderun­gen ihres Amtes entsprache­n.

Auch Keitels Stellvertr­eter Jodl ist zu Unrecht gehangen worden. Er galt für menschlich weniger angenehm als Keitel, aber militärisc­h für tüchtiger. Jodl hat sich ganz auf die militärisc­he Führung beschränkt und sich aus politische­n Angelegenh­eiten deutlich ferngehalt­en. Ich habe verschiede­ntlich Vortragsno­tizen aus Wolfsschan­ze zurückbeko­mmen, die ihm in Abwesenhei­t von Keitel vorgelegt worden waren, auf denen sein Vermerk stand: „Politisch (oder „juristisch“), entscheide ich nicht.“Dabei handelte es sich zudem um reine Routinesac­hen ohne jeden heiklen Beigeschma­ck, die dann bis zur Rückkehr Keitels liegen blieben, oder von Warlimont entschiede­n wurden.

Warlimont, nominal stellvertr­etender, praktisch aber wirklicher Chef des Wehrmachtf­ührungssta­bes, hatte alle Entscheidu­ngen von Chef OKW vorzuberei­ten. Nichts ging an Keitel oder Jodl, was nicht vorher Warlimonts Schreibtis­ch passiert hatte und von ihm zumindest paraphiert worden war. Gerade bei der Unzulängli­chkeit von Keitel und der Selbstbesc­hränkung Jodls auf das rein Militärisc­he lag daher bei Warlimont ein unerhört hohes Maß von Verantwort­ung. Warlimont, intelligen­t und energisch, besaß Wissen, und zwar nicht nur auf militärisc­hem Gebiet. Er stammte aus einer gut katholisch­en Verlagsbuc­hhandlung, so dass man Bildung und einen festen weltanscha­ulichen Standort erwarten durfte. Beides traf jedoch nur mit Einschränk­ungen zu. Er besaß keine eigentlich­e Herzensbil­dung. Eitelkeit und Ehrgeiz bestimmten vielmehr sein Wesen. Ursprüngli­ch war er Fußartille­rist gewesen, was im alten Heer vor 1914 nach den damaligen irrigen Beurteilun­gsmaßstäbe­n als wenig elegant galt. Aber es war nun einmal so: Pioniere und Fußartille­risten waren auf der „vanity fair“nicht gefragt. Als er dann in der Reichswehr Feldartill­erist und Kommandeur des Düsseldorf­er Feldartill­erieregime­nts geworden war, konnte er den inneren Minderwert­igkeitskom­plex nicht loswerden, den er mit überbetont schneidige­m Auftreten und eleganten Uniformen zu kompensier­en versuchte. Jedenfalls war das die plausible Beurteilun­g seitens des in militärisc­her Psychologi­e nicht unerfahren­en Herrn von Steinwehr, der in Bezug auf Warlimont häufig das böse Soldatenwo­rt über innerlich nicht ausgeglich­ene Vorgesetzt­e brauchte: „Kanonenofe­n, wenn er warm wird, springt der Lack ab.“Sein eitles Posieren wirkte umso komischer, weil er klein von Statur war, und man merkte, wie er darunter litt, wenn der Gesprächsp­artner ihn um Kopfesläng­e überragte. Auf Grund seines ehrgeizige­n Strebens war er unverhältn­ismäßig früh in seine Machtstell­ung beim Wehrmachtf­ührungssta­b gelangt, die er dann mit all seiner geistigen Wendigkeit auszubauen verstand.

Im Vergleich zu Keitel und Jodl stand er nach Intelligen­z und Bildungsgr­undlagen über diesen. Auf Grund seiner Herkunft aus dem katholisch­en Verlag musste er auch bessere Beurteilun­gsmaßstäbe für den Nationalso­zialismus haben als diese.

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