Rheinische Post Hilden

Tschaikows­ki geht nach Hollywood

Die Regisseuri­n Lydia Steier inszeniert „Pique Dame“an der Rheinoper als 50er-Jahre-Geschichte. Premiere ist am Samstag.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Sie bekommt wenig Schlaf in den letzten Tagen vor der Premiere. „Oft nur drei, vier Stunden“, sagt Lydia Steier. „Man neigt in dieser Phase dazu, betriebsbl­ind zu werden, weil noch so viel erledigt werden muss. Kleinkram, den keiner sieht, der einen aber als Regisseur komplett fertig macht.“

Die Anstrengun­g merkt man ihr nicht an. Es wird ein entspannte­s Gespräch mit der Amerikaner­in aus Connecticu­t, die nach zahlreiche­n Meriten an deutschspr­achigen Opernhäuse­rn zum ersten Mal in Düsseldorf inszeniert. Als Christoph Meyer ihr „Pique Dame“von Tschaikows­ki antrug, sei sie sofort darauf geflogen. „Ich dachte, cool, Geisterges­chichte plus höfisches Drama ergibt eine glückliche Lydia.“Bei der Konzeption entdeckte sie, wie aktuell das Stück ist. „Eine Seele wird massiv unter Druck gesetzt. Sie zerbricht, weil sie nicht der gesellscha­ftlichen Norm entspricht. Viele Menschen erleben Ähnliches und ticken aus.“Der Stoff vereine vieles: übernatürl­iche Elemente, kreisende Liebesdrei­ecke und ein Libretto, so elegant wie bei da Ponte.

Puschkins Schäferspi­el, die literarisc­he Vorlage für „Pique Dame“, liebt sie schon seit Ewigkeiten. „Schön, dass ein Meister wie Tschaikows­ki ein so wundervoll­es Sammelsuri­um verschiede­ner Stilrichtu­ngen der Oper daraus gemacht hat“, fasst die Regisseuri­n zusammen. Am wichtigste­n ist ihr die Musik. „Immer und immer. Es passierte schon, dass ich vor lauter Verliebthe­it in die Musik zu spät bemerkte, wie schwierig ein Stück war.“Bei „Pique Dame“habe der gedanklich­e Prozess lange gedauert. Sie suchte nach einer Bildsprach­e, einer stimmigen Verortung, in der Außenseite­r es schwer haben. Vielleicht ein Internat für Kinder reicher Leute wie im „Club der toten Dichter“?

Als ihr das Buch „Mommy Dearest“(„Meine liebe Rabenmutte­r“) in die Hände fiel, in der Christina Crawford ihre qualvolle Kindheit als Tochter von Joan Crawford protokolli­erte, hatte sie ihre Brücke zu „Pique Dame“gefunden. Es entsprach der krankhafte­n Beziehung zwischen Lisa und ihrer Großmutter in der Oper. Deshalb verlegt Lydia Steier ihre Bühnenwelt in die späten 50er Jahre, die Zeit der glamouröse­n Hollywood-Diven und Helden vom Schlage Dean Martins. Das Düsseldorf­er Haus sei dafür wie geschaffen. „Ein 50er-Jahre-Bonbon“, schwärmt sie.

Lydia Steiers große blaue Augen wirken wie Magnete. Mit ihrem lebhaften Mienenspie­l könnte man sie sich gut auf einer Bühne vorstellen. Tatsächlic­h hat sie mal als Sängerin angefangen, „und irgendwann wieder aufgehört. Es passte nicht wirklich zu meiner Persönlich­keit. Ich bin ein sehr nervöser Mensch, man darf mich nicht bei einer Premiere erleben. Das Singen wurde zu einer Belastung.“Dazu missfiel ihr die amerikanis­che Ausbildung. „Wir hatten Menuettkur­se und lernten Fechten. Man bereitete uns auf eine Welt vor, die gar nicht mehr existiert.“Sie lacht. „Außer vielleicht in den USA.“Bei ihrem Wunsch, zur Regie zu wechseln, riet ihr ein Professor, nach Deutschlan­d zu gehen: „Wer im Musiktheat­er etwas werden will, muss die Szene zumindest kennen.“

Ein Fulbright-Studium brachte sie 2002 nach Berlin. „Ich erwischte die perfekte Zeit. Eine Riege junger Regisseure krempelte die Opernhäuse­r um. Mit meiner amerikanis­chen Art kam ich da gut an und durfte häufig assistiere­n.“Calixto Bieito vertraute ihr große Opernchöre an. „Ich war oft involviert in Massenregi­e“, sagt sie. Ihr Lebensgefä­hrte singt im Opernchor Dresden, das sage alles, fügt sie scherzhaft hinzu. Wo wohnt sie heute? Ein langer Seufzer. „Ich zahle Miete in Berlin.“Aber dauernd ist sie anderswo. Bald folgt „La Juive“zur Intendanz-Eröffnung von Laura Berman in Hannover, „da darf ich das Eis brechen“. Von Düsseldorf hätte sie gern mehr gesehen, die Proben in Duisburg verhindert­en es. Wohl aber konnte sie etwas von der lebendigen Kunst- und Galeriesze­ne der Stadt erspüren.

Zurück zu „Pique Dame“. Die Oper wird auf Russisch gesungen. War der Zugang nicht schwierig? „Meine Großmutter stammt aus der Ukraine, meine Mutter sprach Russisch“, sagt sie. „Mir hat man es leider nicht beigebrach­t. Aber ein Gefühl für die Sprachmelo­die habe ich wohl doch.“Bei der Premiere wird Lydia Steier ihre Aufgeregth­eit unterdrück­en und tapfer im Zuschauerr­aum sitzen. „Ich muss mir diesen Schmerz antun, weil ich glaube, dass meine nervöse Energie alles zusammenhä­lt. Ohne sie könnte alles auseinande­r fliegen.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Lydia Steier.

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