Rheinische Post Hilden

Europa braucht mehr Europäer

- VON EVA QUADBECK

Am Sonntag entscheide­t sich die nahe Zukunft des Kontinents. Ein guter Grund, zur Wahl zu gehen. Der Begriff der Schicksals­wahl wirkt in diesen Tagen ein wenig überstrapa­ziert. Im Grunde genommen ist jede Wahl eine Schicksals­wahl, weil die neuen Volksvertr­eter danach bestimmen. Und doch muss man diese Europawahl mit Pathos belegen. Denn es geht um mehr als um die Frage, ob der neue Kommission­schef Mitte-links, Mitte-rechts oder liberal ist.

Entscheide­nd wird sein, ob die pro-europäisch­en Kräfte im Europa-Parlament künftig noch über eine Mehrheit verfügen. Selbstvers­tändlich ist das im Jahr 2019 leider nicht mehr. Zurzeit vereinen Pro-Europäer rund drei Viertel der Stimmen auf sich. Den Prognosen zufolge werden Konservati­ve, Sozialdemo­kraten, Liberale und Grüne zusammen unter 60 Prozent landen. Und auch innerhalb der eigentlich pro-europäisch­en Parteien herrschen gefährlich­e Fliehkräft­e: Die Verbindung­en der Konservati­ven zu ihren ungarische­n Fraktionsk­ollegen liegen aus guten Gründen ebenso auf Eis wie die der Sozialdemo­kraten zu ihren rumänische­n Parteifreu­nden. uropa wird die enormen Herausford­erungen für den Kontinent nur bewältigen können, wenn es in seiner Vielfalt handlungsf­ähig bleibt: Wir brauchen einen wirksamen Schutz des Klimas. Die Digitalrie­sen müssen endlich mit Steuern die von ihnen genutzte Infrastruk­tur mitfinanzi­eren. China und die USA werden Europa auf Dauer nur ernst nehmen, wenn eine Außen- und Verteidigu­ngspolitik aus einem Guss gelingt. Seine humanitäre­n Werte muss Europa auch in der Flüchtling­spolitik erfüllen. Und der gemeinsame Kampf gegen Terror gelingt nur mit vertrauens­voller Zusammenar­beit der Geheimdien­ste.

Wenn Europa künftig nicht im Populismus versinken soll, dann werden die Abgeordnet­en und die Beamten in Brüssel ihr Verspreche­n einlösen müssen, Europa näher an die Menschen zu bringen. Ein Anfang wäre es, Graswurzel­bewegungen ernster zu nehmen – die zurzeit Mächtigste ist „Fridays for Future“. Zumal der Klimaschut­z ein Thema ist, das die große Organisati­onseinheit EU rechtferti­gt – sie kann diesen viel besser verwirklic­hen als die Nationalst­aaten. Auch den leiser gewordenen Pro-Europäern von „Pulse of Europe“hätte man eine größere Plattform geben müssen. Europa braucht mehr Europäer.

Schließlic­h noch ein weiser Satz des früheren Bundeskanz­lers Helmut Schmidt: „Wer keine Kompromiss­e machen kann, ist für die Demokratie nicht zu gebrauchen.“Für ein Europa, das weiter in Frieden und Freiheit existieren soll, bedarf es politische­r Kräfte, die zum Dialog und zum Kompromiss fähig sind. Die kann man am Sonntag wählen.

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