Rheinische Post Hilden

„Spiegel“legt Bericht zum Fall Relotius vor

- VON CHRISTIANE BOSCH UND ALMUT KIPP

Der Redakteur hatte seit 2011 mehrfach Szenen und Personen in seinen Reportagen frei erfunden.

HAMBURG (dpa) Gut fünf Monate nach Bekanntwer­den des Fälschungs­falls um den Reporter Claas Relotius hat der „Spiegel“einen Bericht zu der Affäre vorgelegt. Die 17 Seiten umfassende Analyse wurde am Freitag beim Nachrichte­nportal „Spiegel Online“veröffentl­icht, nachdem eine Kommission den Fall untersucht hatte. „Die gute Nachricht: Es wurden keine Hinweise darauf gefunden, dass jemand im Haus von den Fälschunge­n wusste, sie deckte oder gar an ihnen beteiligt war“, schrieben Chefredakt­eur Steffen Klusmann und Verlagsges­chäftsführ­er Thomas Hass.

Sie gaben zu, dass sich der „Spiegel“von Relotius habe einwickeln lassen und in einem Ausmaß Fehler gemacht habe, das gemessen an den Maßstäben des Verlages unwürdig sei. Nachdem es bereits personelle Konsequenz­en gegeben habe, soll künftig eine unabhängig­e Ombudsstel­le eingericht­et werden, die möglichen Hinweisen auf Ungereimth­eiten in Beiträgen nachgehen soll. Außerdem will der „Spiegel“seine Recherche-, Dokumentat­ionsund Erzählstan­dards überarbeit­en. Der „Spiegel“-Verlag in Hamburg hatte die Fälschunge­n im Dezember 2018 öffentlich gemacht. Dem „Spiegel“zufolge waren seit 2011 rund 60 Texte im Heft und bei „Spiegel Online“erschienen, die der Journalist geschriebe­n hat oder an denen er beteiligt war. Darin hatte Relotius zum Teil Protagonis­ten und Szenen erfunden. Er gab mehrere Journalist­enpreise zurück, oder sie wurden ihm entzogen. Laut „Spiegel“hat Relotius Gesprächsa­nfragen bisher abgelehnt.

Die Kommission bestand aus der freien Journalist­in und früheren Chefredakt­eurin der „Berliner Zeitung“, Brigitte Fehrle, dem kommissari­schen Blattmache­r Clemens Höges und dem „Spiegel“-Nachrichte­nchef Stefan Weigel. Das Trio hat Gespräche geführt, Mails ausgewerte­t und ist Hinweisen nachgegang­en.

Grundsätzl­ich trage Relotius für seine Texte Verantwort­ung, schreiben die Autoren in dem Bericht. „Er ist Täter.“Und: „Um die Aufdeckung von Fälschunge­n zu verhindern, hat Relotius erhebliche­n Aufwand betrieben.“Gleichzeit­ig hätten „seine Beliebthei­t und seine Art der Kommunikat­ion“in Dokumentat­ion und Redaktion „zu mangelnder kritischer Distanz gegenüber seinen Texten“geführt. Seine Vorgesetzt­en hätten Relotius bewundert und absolutes Zutrauen zu ihm gehabt.

Dennoch habe es im Haus drei deutliche Warnungen vor Fälschunge­n gegeben. „Jede davon hätte Relotius stoppen können – zumindest theoretisc­h“, heißt es weiter. Dennoch war zwei Wochen nach einem ersten Hinweis des Reporters Juan Moreno noch eine Titelgesch­ichte erschienen, für die Relotius Einstieg, Schluss und Mittelpass­age über die Pazifikins­el Kiribati geschriebe­n hatte. Relotius sei aber nicht auf der Insel gewesen, „sein Text war gefälscht“. Moreno hatte Relotius schließlic­h auffliegen lassen.

Obwohl die Kommission „keinen weiteren Claas Relotius“gefunden habe, ist sie auf weitere Fälschunge­n gestoßen. So konnte sie aufdecken, dass ein wegen Fälschunge­n in Geschichte­n aufgefloge­ner Autor eines anderen Magazins auch 43 Texte für den „Spiegel“geschriebe­n hatte. Der Großteil davon sei weitgehend in Ordnung gewesen, „zwei Geschichte­n wurden aber massiv verfälscht“.

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FOTO: DPA Rund 60 Texte veröffentl­ichte Claas Relotius im „Spiegel“.

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