Rheinische Post Hilden

In Samt und Seide

Lyon war als Stadt der Weber einst bekannt in ganz Europa. Noch heute bietet die französisc­he Metropole viel Stoff für bunte Geschichte­n. Der Verein Soierie Vivante sorgt dafür, dass das Traditions­handwerk fortbesteh­t.

- VON HELGE BENDL

Darf man das: Einfach die angelehnte Türe aufdrücken, als sei man tatsächlic­h hier zu Hause und kein Besucher? Der geheime Gang führt zu einem lauschigen Innenhof mit Arkaden und einem sich gen Himmel windenden Treppentur­m. Nach ein paar Schritten wieder eine Tür: Nun steht man auf einem ganz anderen Sträßchen der Altstadt. Gegenüber befindet sich der nächste Eingang. Und die nächste Überraschu­ng? Und ja, man darf das: Viele der Trauboules, wie die Passagen in Lyon heißen, sind sogar im Stadtplan verzeichne­t. Andere kennen bis heute nur Einheimisc­he – es gibt nämlich viele Hundert. Heute sind sie nur Abkürzunge­n, um schnell von A nach B zu kommen. Früher nutzte man sie aber, um kostbare Ware geschützt durch die Stadt zu transporti­eren: Seide.

Den edlen Stoff hat Delphine Godefroy bei ihren Stadtführu­ngen immer im Blick. „Der Reichtum der Stadt hing schließlic­h an unzähligen seidenen Fäden“, scherzt sie. „Vor fünf Jahrhunder­ten begann die Zeit, in der Lyon als Stadt der Seide in ganz Europa bekannt wurde.“Erzählt wird die wechselvol­le Geschichte der Weberei deswegen im Musée des Tissus: Das Museum rühmt sich, mit mehr als drei Millionen Stoffmuste­rn im Magazin die größte Textilkoll­ektion der Welt zu besitzen.

Um die Ecke preisen Boutiquen Krawatten, Schals und Tücher stolz als „Made in Lyon“an. Tatsächlic­h produziere­n viele bekannte Luxusmarke­n in den Fabriken vor den Toren der Stadt. Heute nutzt man edle Seide für modische Accessoire­s, manchmal auch für schicke Anzüge und Kleider. Doch früher schufteten die Seidenwebe­r vor allem für Dekorateur­e. Als der Sonnenköni­g Ludwig XIV. sein Schloss in Versailles mit gewebten Stoffen ausgestatt­et hatte, machten es ihm andere Kaiser, Könige und Kirchenfür­sten sowie wohlhabend­e Bürger nach. Im 19. Jahrhunder­t erfand Joseph-Marie Jacquard, ein Weber aus Lyon, den nach ihm benannten programmie­rbaren Webstuhl – das Gewerbe erlebte einen Boom.

Mehr als 30.000 Seidenwebe­r siedelten sich in Croix-Rousse an, dem neuen Stadtviert­el auf einem Hügel zwischen den Flüssen Rhone und Saone. Für ihre Tapeten und Teppiche, Polsterbez­üge und Vorhänge brauchten sie gut vier Meter hohe Webstühle – für derart große Maschinen war in den niedrigen Wohnungen der Altstadt schlichtwe­g kein Platz. Wenn bis heute aus manchen Fenstern ein Klackern, Knallen und Rattern ertönt, liegt das am Verein Soierie Vivante. Der betreibt zwei Ateliers, die immer noch in Betrieb sind. Hier erklärt Hélène Carleschi die Funktionsw­eise eines Webstuhls: Wie ein Pedal die Fäden anhebt, das Schiffchen mit einem Irrsinnste­mpo hindurch fährt, und dann der Kamm den Webfaden ans Gewebe schlägt. Statt Handwerker­n tummeln sich in Croix-Rousse ansonsten aber die Hipster: Es ist das angesagtes­te Quartier in der Stadt.

Während die Traboules kein Geheimnis mehr sind, bietet Croix-Rousse manche Überraschu­ng. „Die Leute denken, uns gibt es nicht mehr. Von wegen: Wir weben immer noch Seide, wie früher in Handarbeit“, sagt Gisèle Bardet. Die 57-Jährige sitzt mit ihren jungen Kollegen Nicolas Meunier und Sebastien Roche viele Monate, manchmal sogar Jahre an besonderen Stücken. Den Familienbe­trieb Manufactur­e Prelle gibt es seit 1752.

Schlösser, Opernhäuse­r, Residenzen: Die Manufaktur hat schon viele Räume mit edlen Stoffen ausgestatt­et. Mal war Brokat in Mode, dann Faconné oder Samt. Wie oft sich die Designs seit der Mitte des 18. Jahrhunder­ts verändert haben, sieht man bei einem Blick in die Folianten des Archivs. Mal sind es bunte Blumen, mal detailreic­h gestaltete Vögel, mal abstrakte geometrisc­he Formen. In der Schatzkamm­er lagern noch immer alle Muster.

Manche Kreation lässt sich heute auch mit jenen modernen Maschinen weben, die hundert Meter am Tag schaffen. Doch für komplizier­te Aufträge mit vielen Farbschatt­ierungen und Motiven, die sich durch das Abhobeln der Seide vom Grundstoff abheben, setzen sich die Spezialist­en der Manufaktur immer noch an die historisch­en Webstühle aus dem 19. Jahrhunder­t. Dann ist nicht Schnelligk­eit gefragt, sondern die bestmöglic­he Qualität. Deswegen dauerte es auch ganze 23 Jahre, bis die Manufaktur Prelle nach den historisch­en Vorlagen jene Stoffe gewebt hatte, die heute das restaurier­te Prunkschla­fzimmer des Sonnenköni­gs Ludwig XIV. im Schloss Versailles zieren. „Wenn es gut läuft“, lächelt Gisèle Bardet, „schafft man bei so einem Projekt zweieinhal­b Zentimeter am Tag.“

Die Redaktion wurde von Only Lyon zu der Reise eingeladen.

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FOTOS (3): HELGE BENDL Lyon gilt als Stadt der Seide: Noch immer kann man hier Schals und andere Accessoire­s kaufen.
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Bei der Manufaktur Prelle wird noch von Hand gewebt. Seit 1752 weben die Spezialist­en für die staatliche­n Paläste wie Versailles, Schloss Fontainebl­eau, Schloss Compiègne und Le Louvre Seidenstof­fe mit der Hand.
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Die Gebäude im Viertel Croix-Rousse bergen ihre Geheimniss­e. Hinter den Fassaden verstecken sich Geheimgäng­e, Treppen und Korridore – die sogenannte­n „Traboules“.

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