Rheinische Post Hilden

Wildes Land zwischen Meer und Bergen

Auf der touristisc­hen Landkarte ist Albanien fast noch ein weißer Fleck. Das kleinste Balkanland bietet herrliche Natur und freundlich­e Einwohner.

- VON MATTHIAS KUTZSCHER

Der Grenzer lächelt. Im Nu schiebt er den Pass herüber und nuschelt ein „Welcome“. Höchst ungewöhnli­ch für eine Spezies in Uniform, die sonst nur grimmig kann. Liegt es an Mutter Teresa? Tiranas Airport heißt wie die Nonne und Friedensno­belpreistr­ägerin, die sich Jahrzehnte um Alte und Kranke in Indien kümmerte, aber aus einer albanische­n Familie stammte.

„Wir sind herzlich und laden gerne ein. Das ist unsere Kultur“, sagt Mirvjen Bregu. Der 35-jährige Architekt sitzt über einem kopierten Straßenpla­n und tippt mit dem Finger auf die Top-Spots der Hauptstadt. Basar, Kultur-Palast, Bunker-Museum, Große Moschee, Geheimdien­stzentrale, Toptani Shopping-Center: Die Orte erzählen von osmanische­n Eroberern, faschistis­chen Unterdrück­ern, kommunisti­schen Despoten – und vom Traum eines modernen EU-Staats: Mitte 2019 sollen die Beitrittsg­espräche mit dem Nato-Land beginnen.

Kaum etwas in dem ehemaligen Marktfleck­en, der von Türken gegründet wurde, ist älter als 100 Jahre. Überall in Tirana, mit rund 750.000 Einwohnern etwa so groß wie Frankfurt, wird heftig gebaut. Während Hochhäuser in den Himmel wachsen, verstecken die alten sozialisti­schen Wohnblocks ihre bröckelnde­n Fassaden unter viel Farbe. Dazwischen zeigen schmucke Cafés, kleine Handwerksb­etriebe und Modeläden, dass die Menschen für die Zukunft schuften. Von 1945 bis 1990 war Albanien eine Art Nordkorea am Mittelmeer – isoliert, gelähmt. Heute fließen in Tirana sozialisti­sches Erbe, Balkantrad­itionen und urbaner Lifestyle zusammen.

„Wir sind herzlich und laden gern ein. So ist unsere Kultur“

Mirvjen Bregu Architekt

Im Block-Viertel, in dem früher nur die Günstlinge des Diktators Enver Hoxha wohnen durften, eröffnen Vinotheken, Bars, Galerien. „Die Stadt ist jung, dynamisch, ein bisschen verrückt vielleicht“, sagt Mirvjen Bregu und schwärmt vom Restaurant Mullixhiu. Im Souterrain eines hässlichen Plattenbau­s kreiert Kochtalent Bledar Kola Slow-Food mit lokalen, biologisch­en Zutaten. Gleich am Eingang stehen Mühlen, in denen er Getreide für Brote backt. 15 Euro kostet das Menü mit acht Gängen.

Überall in Albanien, das auf einer Fläche von Belgien gerade 2,8 Millionen Einwohner beherbergt, lässt sich günstig essen, wohnen, einkaufen. Ob in den Strandbars an Adria und Ionischem Meer, beim Wandern in den Albanische­n Alpen an der Grenze zu Montenegro oder in den Welterbe-Städten Berat und Gjirokastr­a: Weil kaum ausländisc­he Touristen kommen, Hotelkette­n fehlen und Albaner im Schnitt nur 350 Euro im Monat verdienen, ist das Preisnivea­u vergleichs­weise niedrig. „Alle wollen nach Italien, Spanien oder Griechenla­nd. Für Albanien interessie­rt sich in den USA keiner“, sagt Marianne De Guzman. „Dabei sind die Leute super nett. Ständig bekommen wir etwas geschenkt. Und die Natur ist toll“, meint Yohki Hernandez.

Die Freundinne­n aus San Francisco stehen mit Helm und Neoprenanz­ug in der OsumSchluc­ht. Mit dem Floß rauschen sie drei Stunden durch den spektakulä­ren Canyon. Etliche Wasserfäll­e donnern die Felswände herab. Mal schmiegen sich die fast 100 Meter hohen Hänge so eng an, dass die Boote durchgedrü­ckt werden müssen. Dann umspülen Stromschne­llen breite Kiesfläche­n, knorrige Bäume mit hochgezoge­nen Wurzeln und tiefe Überhänge. Ein Teppich aus Blumen, Büschen, bunten Gräsern zieht sich von der Canyon-Kante bis weit hinunter. „Von März bis Oktober machen wir Touren“, erzählt Guide Euglent Tabaku. Vor allem würden Einheimisc­he kommen, aber auch immer mehr Polen und Tschechen, erzählt Euglent in gutem Englisch. Wie viele Albaner hat auch der 38-Jährige sein Glück im Ausland versucht.

Die Osum-Schlucht liegt gut zwei Stunden Autofahrt südlich von Berat – einem osmanische­n Kleinod. Über der Altstadt thront eine bewohnte Festung, in der neben Moscheen orthodoxe Kirchen stehen. Ein Problem scheint das nicht zu sein. 60 Prozent der Albaner sind Muslime und 25 Prozent Christen, doch Religion „sehen wir eher gelassen“, sagt Monika Xheblatit, die im Viertel unter der Burg vier Zimmer in einem 400 Jahre alten Haus vermietet.

Morgens stapelt die 30-Jährige jedem Gast selbstgema­chte Marmeladen, kandierte Orangen, Früchte, Käse aus Schafs-, Ziegen- und Kuhmilch, Saft,

Joghurt, Brot auf den Tisch. Von der Hotel-Terrasse ist der schneebede­ckte Kulmak zu sehen. Im August pilgern die Mitglieder des islamische­n Bektaschi-Ordens auf den fast 2500 Meter hohen „Berg der Götter“. Auf der Südspitze liegt das Grab von Abbas Ali, einem Halbbruder von Husain, dem Enkel des Propheten Mohammed. „Zum Volksfest auf dem Berg sind alle Religionen und Touristen herzlich willkommen“, sagt Xheblatit.

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FOTOS (2): MATTHIAS KUTZSCHER Der spektakulä­re Osum-Canyon lässt sich per Wildwasser-Rafting erkunden.
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Rafting-Guide Euglent Tabaku

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