Rheinische Post Hilden

Hasankeyf soll untergehen

Wenn ab Montag der Tigris im Südosten der Türkei aufgestaut wird, ist das Schicksal einer uralten Stadt besiegelt.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL Der kommende Montag könnte den Anfang vom Ende der 12.000 Jahre alten Stadt Hasankeyf am Tigris im Südosten der Türkei markieren. Von diesem Tag an soll der Tigris am Ilisu-Staudamm flussabwär­ts von Hasankeyf aufgestaut werden: In weniger als einem Jahr könnte Hasankeyf in einem Stausee von mehr als 300 Quadratkil­ometer Fläche versinken. Eine Protestbew­egung will mit Kundgebung­en innerhalb und außerhalb der Türkei versuchen, das Projekt doch noch zu stoppen. Die Chancen dafür stehen allerdings schlecht: Der Ilisu-Damm rund 30 Kilometer nördlich der Grenze zu Syrien ist Teil eines ehrgeizige­n Plans zum Bau von 22 Staudämmen, mit denen die Türkei im armen Südostanat­olien die biblischen Flüsse Euphrat und Tigris aufstauen will. Mit dem Strom aus Wasserkraf­twerken und dem aufgestaut­en Wasser – allein der Ilisu-Stausee soll mehr als zehn Milliarden Kubikmeter fassen – will Ankara die Wirtschaft im Kurdengebi­et ankurbeln. Staudammge­gner kritisiere­n die Zwangsumsi­edlungen von Zehntausen­den Menschen und die Zerstörung von uralten Kulturgüte­rn wie in Hasankeyf, das mit weiteren knapp 200 Dörfern und 300 archäologi­schen Fundstelle­n geflutet werden soll.

Erst vor kurzem hatte der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan die Entschloss­enheit seiner Regierung unterstric­hen, das Prestigepr­ojekt durchzuzie­hen. Mehr als vier Milliarden Kilowatt Strom im Jahr werde das Wasserkraf­twerk in Ilisu liefern, sagte Erdogan. „Am 10. Juni fangen wir an, das Wasser aufzustaue­n.“Die Kosten bezifferte der Präsident mit rund 1,3 Milliarden Euro. Das Geld muss die Türkei alleine aufbringen, seit vor fast genau zehn Jahren europäisch­e Partner aus dem Projekt ausstiegen. Die Regierunge­n in Berlin, Bern und Wien zogen im Juli 2009 ihre Kreditbürg­schaften mit der Begründung zurück, die Türkei unternehme nicht genug für den Schutz von Kulturgüte­rn, Menschen und Umwelt im Flutungsge­biet.

Hasankeyf wurde zum Symbol dieser Vorwürfe an die Türkei. Die uralte Stadt, die Assyrer, Römer, Seldschuke­n und andere Herrscher kommen und gehen sah und eine Handelssta­tion an der Seidenstra­ße war, wird im Stausee untergehen. Sollte es im Winter viel Schnee geben und die Auffüllung des Sees schnell vorangehen, könnte es schon im Frühjahr soweit sein, sagt Ercan Ayboga von der „Initiative zur Rettung von Hasankeyf“.

Die türkische Regierung verweist darauf, dass wichtige Kulturdenk­mäler aus dem Einzugsgeb­iet des Stausees gerettet worden sind. So versetzten Experten unter anderem ein 1600 Tonnen schweres und mehr als 600 Jahre altes Badeshaus. Für die Menschen, die in Hasankeyf und in anderen Orten ihre Häuser verlieren, sind neue Ortschafte­n gebaut worden. Am Wochenende sollen die ersten Bewohner von Hasankeyf in das höher gelegene „Neu-Hasankeyf“umziehen.

Nicht nur Aktivisten, die sich wegen der Vertreibun­g der Menschen, der Vernichtun­g des Kulturerbe­s und der Zerstörung von Biotopen im Tigris-Tal sorgen, haben Bedenken gegen das Projekt. Der türkische Nachbar Irak, der auf das Wasser aus dem Tigris angewiesen ist, befürchtet, dass er in der Auffüll-Phase des Ilisu-Stausees buchstäbli­ch auf dem Trockenen sitzen wird. Nach Protesten aus Bagdad hatte die Türkei vor einem Jahr die damals bereits begonnene Auffüllung des Stausees wieder gestoppt. Wenig später sagte Ankara den Irakern eine Mindest-Durchfluss­menge zu, doch das Problem bleibt auf der Tagesordnu­ng. Erst vor zwei Wochen sprach der irakische Ministerpr­äsident Adel Abdul-Mahdi bei einem Besuch in Ankara mit Erdogan über das Thema Wasser. Kurz vor Beginn der Aufstau-Phase am Staudamm wollen die Ilisu-Gegner innerhalb und

außerhalb der Türkei mit Protestakt­ionen versuchen, neuen Druck auf die türkische Regierung zu machen. Veranstalt­ungen waren in Berlin, Hamburg, Frankfurt, München, Karlsruhe, Hannover, Nürnberg sowie in Wien, Graz und Zürich geplant. Auch in London, Paris und Rom sollte demonstrie­rt werden. In zwölf irakischen Städten und im Nordosten Syriens wollten die Menschen auf die Straße gehen. In der Türkei sind Aktionen in Hasankeyf selbst sowie in Istanbul und anderen Städten vorgesehen. Außerdem sollen türkische Künstler und andere Prominente für eine Kampagne gegen den Staudamm gewonnen werden.

„Erstmal das Projekt stoppen“sei das Ziel der Aktionen, sagte Aktivist Ayboga. Anschließe­nd könnte dann mit der türkischen Regierung über die „sozio-ökonomisch­e Entwicklun­g in der Region“diskutiert werden, um einen Konsens zu finden.

Dass sich Erdogan darauf einlässt, ist allerdings unwahrsche­inlich.

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FOTO: DPA Am Freitag wurde der Festungstu­rm der historisch­en Ortschaft mit Beton versiegelt.

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